© Holm Löffler

Tierisch schön hier!

Invasive Arten und ihre Entwicklung

„Gekommen, um zu bleiben“: Der Winter-Titel der digitalen „Natürlich Sylt“  liefert nicht nur beste Geschichten über menschliche Lebenswege: In diesem Part unseres Dossiers geht es um Pflanzen- und Tierarten, die von weit her kommen und schließlich auf Sylt Bedingungen vorfinden, die sie bleiben lassen. Wir nutzen die Gelegenheit, um unseren Leser*innen dazu auch die Menschen vorzustellen, die sich mit den sogenannten „invasiven Arten“ besonders gut auskennen.

  • Neophythen = gebietsfremde Pflanzenarten = Neobiota

  • Neozoen = gebietsfremde Tierarten = Neobiota

In Deutschland sind aktuell 1.015 Neobiota registriert (449 Tier-, 469 Pflanzen- und 97 Pilzarten). Stirbt eine Tier- oder Pflanzenart aus, ist in 60 Prozent der Fälle übrigens eine Neobiot, also eine gebietsfremde Art, dafür verantwortlich. Die Neulinge in der Natur führen also nicht immer und ausschließlich zu mehr Vielfalt. Oft erweisen sie sich an ihrem neuen Standort als besonders vital und gut angepasst an die Umstände, vermehren sich überproportional und verdrängen andere. Von Wissenschaft und Naturschutz werden die Entwicklungen intensiv beobachtet und untersucht, um herauszufinden, welche Konsequenzen das Auftauchen der Neobiota für das Biotop hat. Reglementiert und eingegriffen wird dann, wenn die Ausweitung des Bestandes einer Art für den Lebensraum bedrohlich ist.

© Holm Löffler

Die Neuen

in der Watt-WG

Stiefel an, Forke und Eimer mit. Los geht’s. Auf dem Weg zum „hauseigenen“ Strand des Erlebniszentrum Naturgewalten treffen wir an diesem wild-grauen vorletzten Dezembertag Diane Seidel. Das natürliche Problem an diesem Morgen: „Der Wasserstand ist etwa 1,5 Meter über normal. Wir können trotz Ebbe gar nicht weit raus“, erklärt Diane. 

Die Wahl-Sylterin und Biologin möchte uns eine Watt-Einwanderin persönlich vorstellen: Die Japanische Felsenkrabbe, erstmals 2006 von einem Zivi (so hießen die Freiwilligen-Dienstler damals noch, heute FÖJ = Freiwilliges Ökologisches Jahr) im Wattenmeer gesichtet. Sie ist von Japan erst an die Ostküste der USA emigriert, fand dort Superbedingungen vor und reiste dann wahrscheinlich als blinder Passagier an einem Schiff in die Nordsee.

Diane Seidel auf der Suche nach der Felsenkrabbe
© Holm Löffler

Auf der Suche nach der Felsenkrabbe, die sich, wie ihr Name schon vermuten lässt, unter Steinen zuhause fühlt, finden wir zwischen den Steinen Pantoffelschnecken, Einwanderin von 1934. „Sie durchläuft in ihrem Lebenszyklus eine männliche Phase, eine neutrale und eine weibliche - ist das nicht phantastisch?“, fragt Diane mit einem Schneckenhaus in der Hand. Ihre Faszination für diese so besonderen Wattwesen springt unmittelbar über.

Diane berichtet auch von den Neobiota Brackwasser-Seepocke, die sich auf Miesmuscheln ansiedelt  und der Meerwalnuss, eine neue, bis zu 10 cm große Quallenart, die aus dem westlichen Atlantik stammt. Auf großen Monitoren im Erlebniszentrum kann man ihr beim Jagen und beim Leuchten zuschauen. 

„Ach ja, wir haben auch einige Exportschlager zu verzeichnen: Unsere hier heimische Strandkrabbe fühlt sich auch in Nordamerika, Australien und Südafrika wohl.“

Diane Seidel über die Verbreitung der heimischen Strandkrabbe:

„Sie ist ein ,Exportschlager’ und hat Ökosysteme an verschiedenen Küsten weltweit verändert.“ 

Diane Seidel mit der Pazifischen Auster
© Holm Löffler

Einflüsse auf das Ökosystem

Ein schnelles Urteil darüber, ob die Neuen nun gut oder schlecht sind für das Wattenmeer, gibt es von einer wissenschaftlich denkenden Person nicht. „Man muss die verschiedenen Arten natürlich über lange Zeiträume beobachten, um wirkliche Rückschlüsse auf die Wechselwirkungen und die Entwicklung der Population sagen zu können. Es ist alles sehr dynamisch - wie bei der Entwicklung der menschlichen Bevölkerung auch. Wann ist jemand heimisch, wann zugezogen? Was hat das für Konsequenzen für den Lebensraum? Und wie lässt sich Entwicklung lenken. Das gilt es vielschichtig zu betrachten“, meint sie. Über die Pazifische Auster und deren Einflüsse auf die Watt-WG kann Diane natürlich auch viel berichten, immer auf dem neusten Forschungsstand dank der Nähe zum AWI. „Wenn die Leser das Thema Austern interessiert, können sie dazu ja auch mal eine Exkursion machen. Wir bieten regelmäßig Austernwanderungen in das Zuchtgebiet an.“

Unser Sammeleimer ist inzwischen von Wasser geflutet. Zeit, den Rückweg anzutreten. Ohne Japanische Strandkrabbe, aber mit frischem Wissen über die Neuen in der Watt-WG. 

Naturgewalten

erleben und verstehen

Wer etwas über die 100 neuen Spezies der letzten 100 Jahre in Watt und Nordsee wissen möchte, kann das im Lister Erlebniszentrum Naturgewalten nach allen Regeln moderner Museumspädagogik. In einem multimedialen Schaukasten wird auf der elektronische Weltkarte die Wanderung der Australischen Seepocke, der Pantoffelschnecke, der Pazifischen Auster, der Schwertmuschel oder auch der Felsenkrabbe rund um den Globus anschaulich illustriert. Zusätzlich erklären Präparate und Tafeln das Phänomen der Neuansiedlungen in der Tier- und Pflanzenwelt. 

Möglichkeit 2, um noch mehr Erkenntnis zum Thema zu erlangen: Mit den Expert*innen vom Erlebniszentrum auf Exkursion gehen, um so ein ganzheitliches Verständnis für das dynamische Leben im Weltnaturerbe zu entwickeln. Das Lister Erlebniszentrum bietet übrigens 15 unterschiedliche Formate zur Naturerkundung - darunter Bootstouren mit den „Adler-Schiffen" und exklusive Touren an den Fuß der Wanderdüne.

2009

ging das Erlebniszentrum nach jahrelanger Planung aller Naturschutzverbände an den Start

30

Mitarbeiter*innen, darunter etliche Freiwilligen-Dienstler, betreuen Ausstellung, das Wattlabor und die Exkursionen

600

Schulklassen besuchten das Zentrum 2023

1.400

Besucher*innen zählte das Erlebniszentrum an seinem Rekordtag in der Ausstellung

360

Grad hat die seit 2022 neue Kino-Attraktion im Erlebniszentrum: der „Sylt-Dome“

© Holm Löffler

Diane Seidel

Frau der ersten Stunde

Unter der Federführung ihres Kollegen Matthias Strasser und zusammen mit den Sylter Naturschutzorganisationen arbeitete Diane Seidel mit am Konzept für ein maritimes Umwelt- und Erlebniszentrums auf Sylt. Unsexy Projektname damals: MUEZ. Sie kennt im Erlebniszentrum jede Ecke wie ihre Westentasche. Seit 15 Jahren ist sie hier für die Ausstellung zuständig. Exkursionen zu leiten, steht aber nach wie vor mit auf ihrer Agenda.

Für Diane ist Sylt Zuhause geworden. Wegen der Menschen, vor allem aber wegen der Natur. Sie wohnt mit ihrem Mann am nördlichen Lister Ortsausgang. Schnell ist sie am Königshafen - raus aus der Umtriebigkeit ihres Dorfes. „Ich mag an Sylt seine Vielseitigkeit - vor allem landschaftlich. Bei bestimmten Lichtstimmungen, wenn ich so im Watt unterwegs bin, kann ich die Schönheit kaum fassen“, sagt sie. 

Nach der romantischen Betrachtung ist es dann aber ein wenig so, als habe die friesische Mentalität doch schon ordentlich auf sie abgefärbt: Was ist denn dein Natur-Geheimtipp? „Verrate ich doch nicht, dann ist er ja nicht mehr geheim...“

Von Nilgans und Marderhund

Sylt ist seit 1362 eine Insel. Auf ihren heute knapp 100 Quadratkilometern Fläche fühlen sich viele Tierarten wohl, die man als Niederwild (=alles, was der niedere Adel jagen durfte) auch auf dem Festland findet: Fasane, Enten, Tauben, Gänse, Füchse, Marder, Dachse, Hasen, Kaninchen, Rehwild. Mit den Umwelteinflüssen verändern sich deren Populationen beständig. Die Sylter Jäger sehen es mit als ihre Aufgabe die Entwicklungen in den Kulturlandschaften zu beobachten und für Gleichgewicht zu sorgen. Gerade, wenn natürliche Feinde fehlen.

Eine der neuen Arten, ein Neozoen auf der Insel, ist die Nilgans. Sie wurde irgendwann als Ziergeflügel aus Afrika nach England eingeführt und fühlt sich seit etlichen Jahren auch auf Sylt pudelwohl. Die neuen Tierarten haben oftmals als Gemeinsamkeit, dass sie höchst anpassungsfähig sind.

Nilgänse in Morsum
© Kirsten Rüther-Bendrin
  • Ein Nilgans-Pärchen fotografiert von Kirsten Rüther-Bendrin. Die Vogelfotografin teilt ihre zahlreichen Beobachtungen auf der Insel auf www.vogelfotografie-sylt.de.

So ist es auch mit dem Marderhund (oder: Enok, Obstfuchs, Tanuki, Waschbärhund). Eine Wildhundart, die ursprünglich aus Russland (wurde dort auch als Pelztier gezüchtet) und Asien kommt, in den 30er Jahres des letzten Jahrhunderts erstmals in Schleswig-Holstein erlegt wurde und sich seit den 90er Jahren massiv im Norden Deutschlands ausbreitet. Man kennt den Marderhund in geringerer Zahl auch überall anders in Europa.

Wiebke Bleicken, Jägerin und Vorsitzendes des Vereins „Eidum Vogelkoje“ über den Marderhund:

Wiebke Bleicken erklärt den Marderhund © Imke Wein

Es wird vermutet, dass der bis zu neun Kilo schwere, 70 bis 90 Zentimeter lange und wadenhohe Allesfresser, vor zehn Jahren erstmals über den Bahndamm spazierte und hier vor allem in der Heide, am schilfigen Wattufer, in Wiesen und Wäldern prächtige Lebensbedingungen vorfand. Gerne ernährt er sich von Vogel-Eiern und den Vögeln selbst. Fuchs und Marderhund werden u.a. auch für den Rückgang bestimmter Bodenbrüter, wie den Austernfischer, mit verantwortlich gemacht. Zudem vermuten die Jäger, dass der Marderhund auf der Insel eine große Konkurrenz für den Fuchs ist und dessen Population bereits reduziert hat. Der „Enok“ jagt als exzellenter Schwimmer auch Fische sowie an Land kleinere Säugetiere. Aber er kommt auch vegetarisch ganz gut über die Runden oder frisst Aas, wenn das Angebot nichts Anderes hergibt. Er ist meist nachts auf der Pirsch und gilt als sehr „heimlich“. Was im Jägerlatein soviel heißt wie: Er weiß sich brillant zu verstecken und ist schwer zu jagen.

„Im Zweifelsfalls tritt man eher auf ihn drauf, als dass er wegläuft“, weiß Wiebke Bleicken zu berichten. Als Überlebenskünstler kommt er gut mit dem Sylter Klima klar, nutzt auch gerne Fuchsbauten als Unterschlupf und legt Winterruhe ein, wenn es besonders kalt wird. Er gilt als monogam. Die Weibchen bekommen bis zu acht Jungtiere im Jahr. Eine enorme Reproduktionszahl. Der Marderhund liebt die Sylter Bedingungen. Der erste wurde auf Sylt 2015 erlegt. 2021/22 waren es 40 Tiere. In Schleswig-Holstein wurden zeitgleich 10.310 Tiere erlegt. „Die Statistik liefert Kennzahlen und lässt Rückschlüsse über die Entwicklung der Population zu. Die absolute Anzahl der Tiere kennen wir allerdings nicht.“

„Im Einklang mit dem Naturschutz dafür zu sorgen, dass auf Sylt die Artenvielfalt erhalten bleibt, sehe ich als wichtige Aufgabe für uns Jäger an.“

Wiebke Bleicken

© Imke Wein
Wiebke Bleicken...

…ist das Gegenteil von einer Wahl-Sylterin. Denn sie ist als Mama, Notarfachangestellte und Jägerin auf der Insel felsenfest verwurzelt. Sie ist Sproß einer der großen Insel-Traditionsfamilien. Bis 1730 zurück reicht der Stammbaum der Familie Bleicken, die sich von jeher in Morsum vor allem der Landwirtschaft widmete. Als Bauer auch eine Lizenz zum Jagen zu besitzen, macht Sinn und ist wichtiger Bestandteil der ländlichen Tradition. 

Bei Wiebke sind die Themen Jagd und Natur weit mehr als ein kleiner Ausschnitt ihres Lebens. Die Morsumerin ist wie ihr Vater Mitglied im Sylter Jägerverband, dem „Hegering“. Zudem ist sie in dem Verein "Eidum Vogelkoje" Vorsitzende und kümmert sich mit Hingabe um die Öffentlichkeitsarbeit und die Führungen.

Die Sylter Jäger = der Hegering

Um die „Eidum Vogelkoje“ (auf halben Wege zwischen Westerland und Rantum) in einem Lernort Natur zu verwandeln, gründete der Hegering einen Verein, der den Umbau des etwa Zwei-Hektar großen Areals aus Spenden finanzierte. Auch für den weiteren Ausbau ist der Hegering auf Unterstützer*innen angewiesen.

Die etwa 120 aktiven Inseljäger*innen sind das ganze Jahr über in ihren jeweiligen Orts-Jagdgebieten als Beobachtende unterwegs. Um in den streng reglementierten und je Tierart sehr unterschiedlichen Zeiten jagen zu dürfen, bedarf es einer Ausbildung, die wegen ihres Schwierigkeitsgrades auch als „Grünes Abitur“ bezeichnet wird. Die Jäger*innen, die im „Sylter Hegering“ zusammengeschlossen sind, verstehen ihr Hobby auch als Beitrag zum Natur- und Artenschutz. Sie arbeiten Hand in Hand mit den Naturschutzverbänden.

Gejagt wird auf Sylt zwischen Oktober und März. Dann finden auch die sogenannten „Gesellschaftsjagden“ statt. Die Jagdpächter in den Inselorten laden die Kolleg*innen je einmal im Jahr zu sich zu einer Treibjagd ein. Die Anzahl aller erlegten Tieren wird an den Hegering weitergegeben, die die Zahlen dann dem Kreis und dem Land melden. Die Statistik bietet Kennzahlen, um die Entwicklungen der einzelnen Populationen zu bewerten. Kreis und Land fixieren die strengen Schutz- und Aufzucht-Zeiten für die Wildtiere. Die kommerzielle Nutzung von erlegten Tieren ist generell nicht erlaubt. 

www.hegering-sylt.de

Die Eidum Vogelkoje

2023 führte Wiebke ehrenamtlich 32 Gruppen durch die ehemalige Entenfanganlage, machte die Besucher*innen im Ausstellungsraum am Teich mit Wirbel-Tierarten vertraut, die alle auf Sylt heimisch sind. Zu den ausgestellten Tier-Präparaten vermittelt Wiebke frische Kenntnis über Vorkommen und Zusammenhänge in der Tierwelt. Wie der „ausgestopfte" weiße Fuchs in die Ausstellung kam, welche Aufgaben ein Seehundjäger hat oder wie in List mal ein riesengroßer Hirsch tot aufgefunden wurde, der offenbar aus Dänemark nach Sylt rübergeschwommen war - all das weiß Wiebke Bleicken und gibt ihr Wissen gerne weiter. Immer schön abgestimmt auf das jeweilige Alter der Kojenbesucher*innen.

  • Wer diesen Lernort „Natur“ kennenlernen und mit seinem Verein, seiner Reisegruppe oder seiner Klasse eine Führung in der „Eidum Vogelkoje" machen möchte, schreibt einfach eine Mail: eidumvogelkoje@t-online.de.

„Es ist toll zu sehen, wie sich Menschen aller Generationen für unsere heimische Tierwelt an Land begeistern“

(Wiebke über die Früchte ihres Ehrenamtes)

Bis vor gut 100 Jahren sorgten vor allem Wildenten für die Versorgung der Einheimischen mit Fleisch. Die Sylter Fanganlagen waren für die Betreiber lange ein einträgliches Geschäft. In der Kampener Vogelkoje, die von der Sölring Foriining als Natur-Museum betrieben wird, lässt sich an diversen Stationen erleben, wie der Entenfang genau vonstatten ging. In der „Eidum Vogelkoje“ erfahren die Besucher*innen Spannendes über heimische Sylter Wirbeltierarten. Das zwei Hektar große Areal ist neben Wissensquelle auch ein schwer romantischer Flecken Erde mit deutlichen Lieblingsplatz-Qualitäten.

© Holm Löffler

Celebrity unter den Neubürger*innen

Die Pazifische Felsenauster

In Deutschlands einziger Austernzucht richtet sich alles nach den Gesetzen des Meeres - und den Bedürfnisse der Schalentiere: Jedes Exemplar braucht täglich an die 250 Liter frisches Nordseewasser, um zu gedeihen. „Solche Mengen kann nur das Meer selbst liefern. Darum wachsen die Miniaustern auch weitgehend in der Blidselbucht heran und nicht in der Betriebshalle“, erklärt Christoffer Bohlig, der „Chef“ - wie das Team den Betriebsleiter bei „Dittmeyer’s Austerncompagnie“ in List gerne nennt.

Die Pazifische Auster macht heute bei der kommerziellen Nutzung einen Weltmarktanteil von 94 Prozent aus. Der Neobiot aus der Pazifik findet auch in der Nordsee (nicht zuletzt wegen der steigenden Wassertemperaturen) nahezu ideale Ausbreitungs-Bedingungen. Angenommen wird, dass die wilden Bestände sich aus Larven aus dem Lister Zuchtbetrieb und einer Austernzucht in den Niederlanden entwickelt haben. Seit den 0er Jahren nimmt die Anzahl an wilden Pazifik-Austern rasant zu. Was das für andere Spezies bedeutet, wird u.a. auch vom Alfred-Wegner-Institut (AWI) intensiv untersucht. Dass sich die Verbreitung negativ auf die Miesmuschelbestände auswirkt, hatte man zunächst angenommen, inzwischen gibt es andere Untersuchungen, die belegen, dass die Miesmuschel an den wilden Austern andockt und Grundlage für Muschelwachstum bietet.

  • Bevor in der Austernzucht in Europa seit etwa 100 Jahren die Pazifische Felsenauster auf dem Vormarsch ist, gab es eine heimische Art: die europäische Auster, die wegen Überfischung und verschiedener Erkrankungen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts als ausgestorben galt. Das AWI kann inzwischen allerdings von Erfolgen verschiedener Neuansiedlungs-Versuche berichten.

Boot ankert vor wilden Austern, die von einem Austernfischer eingesammelt werden.
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Die nach bretonischem Vorbild gebaute „Sofia“, ein Watt tauglicher Kahn mit einklappbaren Rädern, im Einsatz.

Christoffer Bohlig erntet wilde Austern in mühsamer Handarbeit
© Holm Löffler

Das Fischen der wilden Austern könnte bei Dittmeyer künftig ein Drittel der „Ernte" eines Jahres ausmachen. Seit 2015 ergänzen die „Wilden“ das gezüchtete Sortiment.

  • Das Sammeln von wilden Austern untersteht dem Fischereigesetz. Nur Inhaber eines Fischereischeins dürfen wilde Austern aus dem Wattenmeer entnehmen, pro Tag bis zu einem 10-Liter-Eimer. 

Neue Bestimmungen

für Zuchtaustern

Dittmeyer’s Austern-Compagnie wird seit den Anfängen 1986 Jahre medial viel beachtet. Bei aller Austernfischer-Romantik: Immer wieder gab es auch existentielle Momente. So wie jetzt die neuen Bestimmungen des Gesetzgebers für Kopfzerbrechen sorgen. Die „Sylter Royal“ wird halt in einem hoch protegierten Naturschutzgebiet gezüchtet - die Rahmenbedingungen sind entsprechend eng. Seit 2023 wird es dem Zuchtbetrieb untersagt, wie bisher einjährige Austern-Setzlinge aus Irland ins Watt zu verbringen. Befürchtet wird, dass die Austernkinder Krankheitserreger und weitere Neobiota einschleppen. Für die Austern-Compagnie ist diese gesetzliche Neuerung unternehmerisch bedrohlich. Letztes Jahr galt eine Übergangslösung. Der Betriebsleiter Christoffer Bohlig hofft auf weitere Gespräche, die für Januar 2024 angesetzt sind.

„Künftig dürfen wir eigentlich nur noch frisch geschlüpfte Austern verwenden. Das verlängert den Wachstumszyklus von jetzt 1-2 auf 4-5 Jahre und würde einen Bestand von 3,5 Millionen Tieren erfordern, um wirtschaften zu können. Das bekommen wir logistisch einfach nicht hin. Dafür haben wir nicht die Kapazitäten“, weiß Christoffer Bohlig. Wie es nun weitergeht? „Für uns denkbar wäre es, mit einem Drittel Wildaustern, einem Drittel der einjährigen und einem Drittel der kleinen Setzlinge zu kalkulieren“, meint Bohlig mit jener Unerschütterlichkeit, die Menschen haben, die so unmittelbar mit den Naturgewalten arbeiten. Irgendwie wird es wohl irgendeine Lösung geben. „Dat löppt sich allens wedder trecht“, heißt die plattdeutsche Weisheit zum Moment.

© Dittmeyer's Austern-Compagnie
© Dittmeyer's Austern-Compagnie
  • 700.000 bis 800.000 Austern verkauft Dittmeyer's Austern-Compagnie pro Jahr. 

  • 25 Prozent davon werden im eigenen Restaurant, die nächsten 25 Prozent bleiben in der Gastro auf der Insel. Die andere Hälfte geht vor allem an den Großhandel im deutschsprachigen Raum.

  • Für 1,32 € geht die Lister Auster derzeit an Gastronomen und Händler raus. In Restaurants wird der Gast dann etwa vier Euro pro Meerestier bezahlen.

„Für die Familie Dittmeyer ist das eine unternehmerische Liebhaberei. Große Gewinne machen lässt sich hier nicht. Aber aus dem Zusammenspiel aus Gastro und Vertrieb geht es auf“, weiß Christoffer Bohlig als Kenner der Bilanzen der letzten 20 Jahre. 

Austern richtig öffnen

Sylter Sternekoch Johannes King zeigt im Video, wie Sie Austern richtig aufmachen können, ohne das wertvolle Fleisch zu beschädigen.

Christoffer Bohlig

Der Teilzeit-Lister

Für den einen Lieblingsessen, für den anderen Höchststrafe. Die Auster steht für Luxus auf dem Speiseplan, maritime Romantik und ein krasses Stück Arbeit. Das Austernbusiness ist per se feucht, oft auch kalt und auch nichts für Weicheier. Außerdem muss man gerne tonnenweise schleppen können. Nur eine winzige Gruppe Mensch lebt auf der Insel so intensiv im Rhythmus der Gezeiten wie er und seine Team. Surflehrer*innen vielleicht noch. Die Biolog*innen vom Alfred Wegener Institut natürlich und die Leute von der Miesmuschelzucht in Hörnum. 

„Wer das zu lieben lernt, will es irgendwann nicht anders“, weiß der Kaufmann, Ingenieur und Austernfischer aus eigener Anschauung.

Sylt prägte ihn schon als Kind, als er mit seiner Familie die Ferien hier verbrachte. Er fing in Kiel an, Biologie zu studieren, wollte Meeresbiologe werden, wurde dann vom Unibetrieb und den mangelnden Perspektiven entzaubert, interessierte sich für die Fischerei, machte eine Ausbildung zum Kaufmann, fand schließlich bei der Austerncompagnie sein Biotop und setzte noch ein Ingenieurstudium für Verfahrenstechnik oben drauf. „Ob die Planung der Betriebsabläufe oder die Reparaturen in der Technik: Wir brauchen so gut wie keine externen Firmen“, erzählt der Allrounder und Teilzeit-Sylt.

Von montags bis donnerstags wohnt Christoffer unmittelbar dort, wo er arbeitet. Das sind seine vier Sylt-Tage, die wenig Ablenkung vom Austernbusiness erlauben. „Freitags mache ich Homeoffice. Da bin ich in Flensburg, dort lebt meine Familie. Ich bin froh über beide Teile meines  Lebens“, meint der Naturbursche zu seinem Lebens-Modell. Er ist ein Mann, der die Dinge gerne klar benennt und nicht vor lauter diplomatischer Vorsicht jeden Satz doppelt überprüft. 

Er könnte sich auch vorstellen, irgendwann in Skandinavien als Selbstversorger zu leben. Bis dahin kümmert er sich aber weiter um die Zukunft des Unternehmens und die Millionen Austernkinder im Betrieb.

  • Text: Imke Wein

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