© Holm Löffler

Natürlich Sylt

Wir sind so frei

Hüllenloses Sonnenbaden ist auf Sylt längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Der Weg zu dieser freizügigen Errungenschaft indes war steinig und brachte so manche Kontroversen, aber auch Anekdoten mit sich. Ein Blick zurück auf die Geschichte der Freikörperkultur auf Sylt.

 

Lange Zeit standen die herrschenden Moralvorstellungen der FKK-Bewegung entgegen. Dabei hatte der Sylter Badearzt Gustav Jenner schon anno 1850 empfohlen: »Unter allen Umständen bade man ohne Kleider. Denn sie verhindern, auch wenn sie noch so dünn sind, die Wirkung des Wellenschlags und vereiteln den Erfolg des ganzen Bades.« Doch der Siegeszug der Freikörperkultur musste sich noch eine ganze Weile gedulden: Der erste Schritt wurde im Jahr 1904 vollzogen, als in den Westerländer Dünen ein sichtgeschütztes »Luft- und Sonnenbad« für Anhänger der Freikörperkultur eröffnet wurde. Erneut ging geraume Zeit ins Land, ehe das Jugend- und Erholungslager Klappholttal bei Kampen 1927 eine landespolizeiliche Ausnahmegenehmigung zum Nacktbaden erhielt. Doch wurde diese Erlaubnis schon wenige Monate später wieder ausgesetzt, da die Obrigkeit mit dem sprunghaft ansteigenden Fremdenverkehr nach der Eröffnung des Bahndamms kritische Stimmen unter den Gästen befürchtete. Erst im Sommer 1954 wurde dann der entscheidende Meilenstein erreicht: Ein schmuckloses Holzschild am Westerländer Strand sorgte über die Grenzen der Insel hinaus in der noch recht prüden Republik für Aufsehen. »Halt! Hier beginnt der FKK-Strand« verkündete die Tafel in großen Lettern. Im Süden des Nordseebades durften Nudisten fortan am ersten öffentlichen FKK-Strand Deutschlands alle Hüllen fallen lassen. Die anderen Inselorte zogen Stück für Stück nach. Seine Hochzeit erlebte der Siegeszug des FKK in den 1970-er-Jahren: Laut einer Umfrage bevorzugten damals 70 Prozent aller Sylt-Urlauber die FKK-Strände und acht Prozent der Befragten gaben sogar an, allein aus diesem Grund auf die Insel zu reisen.

Nackte Tatsachen waren gerade in den Anfängen der Sylter FKK-Strände für Unbeteiligte offenbar eine spannende Angelegenheit. Insbesondere auf den Dünenkanten oberhalb von FKK-Stränden verschanzten sich Lüstlinge mit ihren Ferngläsern. Wehe dem, der erwischt wurde: Dann wurden die Nudisten rabiat und mehr als einmal musste ein solcher Spanner zur Abkühlung ein unfreiwilliges Bad in der Nordsee nehmen. Doch damit nicht genug: Ein passionierter Sylt-Nudist, ein Hamburger Fabrikant, erinnerte sich später zurück: »Es ging so weit, dass von List aus drei Mal wöchentlich ein Schiff bis nach Westerland schipperte, um hier uns Nackte am FKK-Strand zu sehen. Eines Tages wurde es zu bunt: Einige von uns holten sich verfaultes Obst, bestiegen damit ein Schlauchboot und bewarfen die Spanner. Das war dann das Ende der Ausflugsfahrten zum FKK-Strand.« Selbst das »Hamburger Abendblatt« berichtete seinerzeit von einem unerhörten Zwischenfall: »Der Strand für Freikörperkultur in Westerland war Schauplatz eines schweren Tumults. 300 Nackedeis stürzten sich auf einen Strandbesucher, der versucht hatte, mit seiner in einem Kofferradio eingebauten Kamera Aufnahmen zu machen. Sie rissen ihm 250 Meter Filmband aus der Kamera und jagten ihn aus dem Paradies. Denn das Fotografierverbot gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen dieses Strandes.« Selbst Unbescholtene gerieten ins Visier der FKK-Anhänger: Als Mitarbeiter des Geologischen Instituts Kiel 1968 Vermessungen des Meeresbodens vornehmen wollten, wurden sie unvermutet mit Steinen beworfen: Aufgebrachte Nudisten hatten die Arbeitsgeräte für Fernsehkameras gehalten.

Nackedei Beach in Kampen
© TS Kampen/Dinah Boysen

Da war es doch klüger, sich bekleidet und doch ganz legitim unter den Nackedeis aufhalten zu dürfen: Als die Stelle des Westerländer FKK-Strandaufsehers vakant wurde, sah sich die Kurverwaltung in den 1950-er-Jahren mit einer wahren Flut von Bewerbungen eingedeckt. Denn durch die Presse hatte sich die Nachricht zunächst quer durch Deutschland verbreitet, dann durch Europa, und zu guter Letzt schwappte sie noch über den großen Teich bis nach Amerika. Es brauchte nur wenige Tage, da waren schon 200 Bewerbungen eingetrudelt. Bayern und Berliner boten sich an, auch zwölf Franzosen hielten sich für den Posten für unbedingt geeignet, sogar ein Inder empfahl sich (die Luftpost hatte er »An den Stadtrat der Nudistengemeinde in Westerland« adressiert). Den Zuschlag 
erhielt dann aber doch ein Sylter – übrigens der einzige Bewerber von der Insel.

Viele Wellen schlugen in der Folgezeit an Sylts FKK-Strände und die Lage entspannte sich, wie das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« 1974 konstatierte: »Teilnahmslos, als wäre ein Sylter Nacktstrand die Hamburger Mönckebergstraße, schwebt ein primäres Geschlechtsmerkmal am anderen vorüber, und wenn ein dazugehöriges Augenpaar versehentlich seitwärts schweift, meint man, es blicke in ein Schaufenster voller Büromöbel.«Nackt und ungezwungen – das war indes nicht jedermanns Sache. Auch die Prominenz hielt es damit ganz unterschiedlich. Klarer Fall, dass der Pate der sexuellen Revolution in Deutschland gern die Hüllen ablegte: »Wenn ich auf der Insel angekommen bin, muss ich erst mal an den Strand, das Geschirr ablegen«, erzählte Oswalt Kolle und erinnerte sich an seine ersten FKK-Erfahrungen auf Sylt: »Das muss man sich mal vorstellen: In Westerland stand am Strandübergang ein Wachmann, vor dem man sich ausziehen musste, bevor man besagten Strandabschnitt betrat. Da ging es in Kampen schon toleranter zu.«

Auch der Industrielle und personifizierte Playboy Gunter Sachs besuchte gern den Kampener FKK-Strand »Buhne 16«, nahm für sich jedoch kühn das Privileg in Anspruch, die Badehose anzubehalten. Das animierte einige Nudisten dazu, auf ihren Strandburgen Fahnen mit der Aufschrift »Badehose runter – Gunter!« flattern zu lassen. Epilog: Das Objekt des Anstoßes ließ Sachs später in einem Kampener Nachtclub versteigern – stolze 8450 Mark brachte die ausgediente Badebüx ein. Andere Promis standen dem nackten Treiben skeptisch gegenüber. Als etwa Schauspielerin Romy Schneider der Insel 1968 ihren ersten (und zugleich letzten) Besuch abstattete, monierte sie: »Furchtbar – in jeder Welle hängt ein nackter Arsch!« Mit ausgesuchten Worten, wie könnte es anders sein, beschrieb hingegen der Literaturpapst und Buchkritiker Marcel Reich-Ranicki seine erste Stippvisite auf Sylt: Damals sei er bekleidet am FKK-Strand gewandert und habe »einige Quadratkilometer Schamhaar erblickt«, sein Auge aber nur auf die Literatur geworfen...

Nackte Tatsachen

Sylt kann auf eine lange FKK-Tradition blicken: 1903 ließ sich Ferdinand Avenarius auf dem Dach seines Kampener Hauses Uhlenkamp eine Wanne für das ungestörte nackte »Lichtbaden« konstruieren. Im Jahr 1904 wurde in Westerland das erste »Luft- und Sonnenbad« in einem Holzgebäude mit Innenhof errichtet. 1919 gründete Knud Ahlborn das Freideutsche Jugendlager Klappholttal. Dort gehörte ein morgendliches Bad ohne Bekleidung mit anschließendem Frottieren zum täglichen Ritual. 1927 erhielt Klappholttal eine landespolizeiliche Ausnahmegenehmigung zum Nacktbaden und war damit Sylts erster legaler FKK-Strand. 1954 wurde dann in Westerland der erste für jeden frei zugängliche FKK-Strand an deutschen Küsten ausgewiesen. Heute gibt es in jedem Inselort entlang der Westküste mindestens einen textilfreien Strandabschnitt, wobei die einstmals festen Grenzen mehr und mehr verschwimmen. 

Text: Frank Deppe

FKK-Strände auf Sylt

Hier können Sie die Freikörperkultur auf der Insel zelebrieren.

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