© Jan Blaffert

Natürlich Sylt

Wertewandel

Ein Siegel für insulare Nachhaltigkeit: Die neue Dachmarke »Lebenswert – Nachhaltiges Sylt« soll Sylter Betriebe und deren Angebote und Aktivitäten auf Nachhaltigkeit prüfen, zertifizieren und sichtbar machen.

Geliebt, begehrt, begrenzt. Das ist kurz gefasst die Ausgangslage, die im Laufe der Jahre das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Ferienunterkünften und Dauerwohnraum aus der Balance gebracht hat. Dazu die globale Klima- und Energiekrise, die allein schon aus der Sylter Perspektive betrachtet bedrohlich wirkt. Nämlich, dass sich die Nordsee schneller als jedes andere Meer erwärmt und der Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 1,2 Meter ansteigen soll. Was können wir tun, um unsere Insel nachhaltig vor diesen Entwicklungen zu schützen bzw. ins Gleichgewicht zu bringen? Die Notwendigkeit, noch sensibler zu werden für das, was jeder Einzelne zu mehr Nachhaltigkeit am Meer und mehr Nachhaltigkeit im Inseltourismus beitragen kann, steht dabei außer Frage.

Aber was heißt das? Für was genau steht der Begriff Nachhaltigkeit, der allgegenwärtig und doch oft schwer greifbar ist, häufig im Vagen bleibt oder als leere Phrase verpufft. Dabei steckt ein ganz konkretes Konzept dahinter: Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die natürlichen Ressourcen nur so weit zu nutzen, wie sie sich erneuern, und die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht und ökologisch tragfähig. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Forstwirtschaft. Der Grundgedanke: In einem Wald sollen nur so viele Bäume abgeholzt werden, wie in absehbarer Zeit nachwachsen können, um so langfristig den Bestand des Waldes als Basis der Forstwirtschaft sicherstellen zu können. Sich benehmen wie die »Axt im Walde« oder »Nach mir die Sintflut« bringt also jedes noch so stabile Gleichgewicht ins Wanken und entzieht jedem System die Existenzgrundlage – egal ob Wald oder Insel. Wir alle tragen die Verantwortung dafür, Sylt, im übertragenen Sinn, vor übermäßiger Abholzung oder gar Rodung zu schützen.

In dieser Hinsicht tut sich einiges auf Sylt. Das zeigt sich auf allen Ebenen und in nahezu allen Bereichen: Initiativen wie »Bye Bye Plastik« oder »Klare Kante Sylt« engagieren sich für eine saubere Insel und sagen den Makromolekülen aus der Hölle den Kampf und dem Sylter Leitungswasser volle Unterstützung an, Bürgervereinigungen wie »Merret reichts – aus Liebe zu Sylt« setzen sich für mehr Mitbestimmung und eine selbstbewusste Inselidentität ein, die Naturschutzorganisationen richten mit ihrer Naturschutzbotschafterin und breiter Unterstützung der Inselbevölkerung eine Sylter Nachhaltigkeitswoche aus, der Bauausschuss der Gemeinde Sylt beschließt einstimmig das Beherbergungskonzept und sendet damit ein wichtiges Zeichen zur Sicherung von Dauerwohnraum. Derzeit feilen wir mit dem Landschaftszweckverband Sylt und der Projektmanagerin für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ganz konkret an einem Klimaschutzkonzept für die Insel, arbeiten gemeinsam mit der Sylter Verkehrsgesellschaft und mit der Energieversorgung Sylt an Konzepten zum Ausbau nachhaltiger Mobilität und Verringerung des motorisierten Individualverkehrs und werden gemeinsam mit den Tourismusorganisationen alles dafür tun, dass wir durch strukturelle Maßnahmen den CO2-Anstieg der Insel verringern. Reicht das? Noch nicht. Aber es ist ein Anfang, ein engagierter Anfang, den immer mehr Menschen bereit sind mitzugehen und weiter voranzutreiben. Insulaner und Insulanerinnen ebenso wie Gäste. Viele möchten nachhaltiger leben, arbeiten und urlauben und das schließt ein wachsendes Bewusstsein für die Sensibilität des Ökosystems Insel genauso ein wie soziale Verantwortung und umweltverträglicheres Wirtschaften. Ein Trend? »Nein, eine Notwendigkeit«, sagt unser Geschäftsführer Moritz Luft. »Uns allen muss bewusst sein, dass die Ressourcen der Insel begrenzt sind und Wachstum nicht das Maß aller Dinge sein kann und darf. Welchen Sinn haben Projekte, die nur den kurzfristigen Erfolg bringen, der Insel aber nachhaltig schaden?« Vielmehr gehe es darum, den hohen Qualitätsstandard der Insel zu erhalten und touristische Angebote an die Ansprüche ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit weiter
anzupassen.

Das stetig zunehmende Bewusstsein für Regionalität sowie für Umwelt- und Ressourcenschonung ist längst in der Gastronomie angekommen. »Geschmack und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus, im Gegenteil«, sagt Sternekoch Holger Bodendorf. Seit Jahren ist er überzeugtes Mitglied bei »Feinheimisch«, dem Verein für regionale Ess- und Kochkultur. Sein Credo: nachhaltig arbeiten, mit Bekenntnis zur erstklassigen Qualität, mit Produkten mit regionalem und saisonalem Bezug. »Wir müssen damit aufhören, dass immer alles das ganze Jahr hindurch verfügbar sein soll. Warum Produkte über die Weltmeere schippern, wenn es diese auch, noch dazu besser, auf Sylt oder in der Region gibt? Die Frage nach Sinnhaftigkeit und eigener Verantwortung müssen wir einfach viel häufiger stellen.« Verfolgt man eine Vision, tut man sich zusammen, um der gemeinsamen Sache Nachdruck zu verleihen. Ebenso wie Holger Bodendorf engagieren und organisieren sich viele Sylter Gastronomen in lokalen, regionalen oder überregionalen Zusammenschlüssen, die den Nachhaltigkeitsgedanken auch mal rigoros vor wirtschaftliche Interessen stellen. Vom Suppenwagen bis zur Sterneküche. Sie sind Teil der »Recup«-Familie, Anhänger der »Too good to go«-Bewegung und produzieren zertifiziert biologisch. Aus Überzeugung und mit Brief und Siegel.

Auch in seiner Funktion als Hotelier und Patron des Landhaus Stricker registriert Holger Bodendorf mit Enthusiasmus, dass der Bewusstseinswandel Fahrt aufnimmt und sich immer mehr Hotels nach aufwendigem Prüfverfahren zertifizieren lassen. Denn klimafreundlich wird man nicht im Schlaf, dazu braucht es nachhaltiges Engagement. Vorreiter ist das Hotel Niedersachsen in Westerland, das mit Geothermie, Blockheizkraftwerk und Konzepten zur Abfall- und Plastikvermeidung seit Jahren einen beispielhaften Beitrag zum Schutz von Umwelt und Natur leistet. Als Nationalpark-Wattenmeer-Partner aufgenommen und ausgezeichnet, versucht der Betrieb einen klimafreundlichen Weg zu gehen, auch indem er kontinuierlich den CO2-Fußabdruck jedes einzelnen Gastes reduziert und die anfallenden Emissionen über internationale Klimaschutzprojekte kompensiert. Seit einem Jahr prüfen und zertifizieren wir in Kooperation mit der Klimapatenschaft GmbH auch Ferienwohnungen und -häuser auf ihre Klima- und Umweltfreundlichkeit in den Bereichen Energie, Wasser, Abfall, Ausstattung, Mobilität, CO2 und Kommunikation. »Dass sich Einheimische und Gäste auch weiterhin hier wohlfühlen können«, ist für Uta Apel, Inhaberin der Appartementanlage Alter Konsumverein in Westerland, ein wichtiger Kernpunkt zukünftiger insularer Entwicklung. Sie war eine der Ersten, die ihr Ferienobjekt im vergangenen Jahr hat zertifizieren lassen. »Für uns ist der bewusste Umgang mit der Inselnatur und ihrer Ressourcen eine Herzensangelegenheit. Aber auch für viele Gäste geht mittlerweile der Wunsch nach Erholung einher mit dem Wunsch, Umwelt und Natur zu schonen«, so Uta Apel über ihre Beweggründe. Darüber hinaus habe sie selbst viel erfahren und gelernt über den Nachhaltigkeitszustand und Optimierungspotentiale in Sachen Ressourcenverbrauch ihres Betriebes.

Fassen wir zusammen: Nachhaltigkeit ist auf Sylt nicht nur im Bewusstsein der Menschen angekommen, auch gibt es mittlerweile viele unterschiedliche Ausdrucksformen, nachhaltig aktiv zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Ein Potpourri aus gemeinwohlorientierten Angeboten, vorbildlichen Initiativen und besten Absichten. Dazu eine Vielzahl an Siegeln, die nachhaltiges Handeln auszeichnen. Keine Frage, klar definierte Zertifizierungen sind wertvoll, damit Nachhaltigkeit nicht zu einem unendlich dehnbaren Gummibegriff wird. Aber mittlerweile aufgrund der Vielzahl für kaum jemanden wirklich gut oder auf den ersten Blick zu überschauen oder miteinander vergleichbar, da unterschiedliche Ansätze und Kriterien zu Grunde liegen. Wo bleibt der verlässliche Überblick oder die transparente Einordnung? Wie und wo finde ich nachhaltig agierende Betriebe und ausgerichtete Angebote auf Sylt? Woran erkenne ich ein nachhaltiges Angebot? Und vor allem: Woran erkenne ich dessen Güte oder Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung? Bislang fehlte ein einheitlicher Rahmen, der insulare Nachhaltigkeit in ihren unterschiedlichen Ausprägungen auf der Insel bündelt und sichtbar macht.

© Finn Anjes Edling

Bislang. Denn gemeinsam mit der B.A.U.M. Consult GmbH München/Berlin, die derzeit auch den Prozess des Klimaschutzkonzeptes für Sylt begleitet, haben wir eine Dachmarke entwickelt, die nachhaltig und achtsam agierende Betriebe und deren Angebote unter einem Label zusammenfasst. Dazu gehört ein Sylter Nachhaltigkeitssiegel, das touristische Betriebe aus Beherbergung und Gastronomie und später auch nachhaltig erzeugte Produkte und Dienstleistungen aus der Region auszeichnen und kennzeichnen soll. Die Vergabe des Siegels beruht dabei auf einem klar definierten Kriterien- und Kontrollsystem, das auf den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen basiert. Die Sustainable Development Goals, kurz SDGs, sind eingebettet in die Agenda 2030 und umfassen einen breiten Nachhaltigkeitsbegriff, der sowohl ökologische, aber auch soziale und ökonomische Aspekte der Nachhaltigkeit benennt. Zu jedem nachhaltigen Entwicklungsziel wurden zwei Kriterien formuliert, aus denen ausgewählt werden kann bzw. eine erfüllt werden muss. Erste Leitlinien dazu wurden im vergangenen Jahr von einer berufenen Lenkungsgruppe, bestehend aus Vertretern der Bereiche Beherbergung, Gastronomie, Manufaktur und Dienstleistung sowie der involvierten Naturschutzorganisationen, entworfen und im Rahmen einer Auftaktveranstaltung Anfang des Jahres in Workshops weiter auf die spezifischen Sylter Anforderungen hin ausgearbeitet. »Der Kriterienkatalog ist ein praktischer Bausatz, mit dessen Hilfe einheitliche Qualitätsstandards transparent dargestellt werden können, ohne die unterschiedlichen Situationen der Branchen und Betriebe außer Acht zu lassen«, so Christian Gehrke, Lebensmittelhändler und -produzent und Mitglied der Lenkungsgruppe.

Ab Ende Oktober können sich die ersten Sylter Betriebe für den Eintritt in die Dachmarke bewerben. Dieser ist vorerst in den drei Kategorien Hotellerie, Ferienhäuser/ Appartements und Gastronomie möglich. Möchte ein gastronomischer Betrieb Mitglied der Dachmarke werden, müssen mindestens 14 der 17 Kriterien erfüllt sein. Diese Anforderung gilt auch für Beherbergungsbetriebe, darüber hinaus ist eine Zertifizierung nach festgelegten Standards die Basis für deren Mitgliedschaft. Haben Betriebe den Einstieg in die Dachmarke geschafft, sind sie automatisch im insularen Buchungssystem und auf den Websites der Tourismusorganisationen auf einen Klick sichtbar und buchbar. Das Markenprogramm soll damit nicht nur nachhaltig agierende Betriebe präsenter in der öffentlichen Wahrnehmung und Nachfrage machen, sondern darüber hinaus auch deren insulare und regionale Vernetzung fördern und andere motivieren, nachzuziehen. Vor allem soll das Siegel nicht nur Klima- und Umweltschutz im Blick haben, sondern auch Werte wie Menschlichkeit, Achtsamkeit und Ehrlichkeit. Zur Verdeutlichung trägt die neue Dachmarke den Namen »Lebenswert« und transportiert damit die Werte, an denen wir uns orientieren, um Sylt als
lebenswerte Heimat- und Urlaubsinsel zu erhalten. Für uns, für die nachfolgenden Generationen und für die Insel. Denn Sylt ist es wert.

Werden Sie Teil unserer nachhaltigen Insel

Sie fragen sich, ob Sie das Zeug für die Dachmarke haben? Machen Sie den Test! Auf www.sylt.de/lebenswert gibt es detaillierte Informationen zu den SDGs, den Zugangskriterien und zum Selbstverständnis und -bekenntnis der Dachmarke. Gesteuert wird die neue Dachmarke von der SMG, getragen und unterstützt wird das Projekt von allen insularen Tourismusorganisationen. Die Finanzierung erfolgt anteilig durch eigene Mittel. Zudem unterstützt die AktivRegion Uthlande die Gestaltung der neuen Dachmarke zu 50 Prozent mit EU-Mitteln aus dem Fond der Förderung des ländlichen Raums.

Sie benutzen offenbar den Internet Explorer von Microsoft als Webbrowser, um sich unsere Internetseite anzusehen.

Aus Gründen der Funktionalität und Sicherheit empfehlen wir dringend, einen aktuellen Webbrowser wie Firefox, Chrome, Safari, Opera oder Edge zu nutzen. Der Internet Explorer zeigt nicht alle Inhalte unserer Internetseite korrekt an und bietet nicht alle ihre Funktionen.