© Oliver Abraham

Natürlich Sylt

Im Reich der Pilze

Im Sylter Osten geht den Wald- und Wiesenwesen der Hut hoch. Auf Pilzexkursion mit Marion Wick.

© Oliver Abraham

»Wir gehen jetzt in einen Birkenwald, und das ist immer gut«, sagt Naturführerin Marion Wick. Zumindest für diejenigen, die auf der Suche nach Pilzen sind. Sie stoppt neben einem triefend nassen Busch und zeigt auf einen großen, weißen Pilz, vermutlich ein Anischampignon. Es ist Ende Oktober, es regnet, es ist kalt und »…das ist bestes Pilzwetter. Der späte Herbst, der Winter – das ist eine klassische Pilzsaison.« Für das Judasohr, den Riesenbovist und viele mehr.

Marion Wick lebt auf dem nahen nordfriesischen Festland und bietet in den Herbst- und Wintermonaten regelmäßig Pilzexkursionen auf Sylt an. Die Wäldchen im Inselosten sind ihre nächstgelegenen und noch dazu sehr ergiebig. »Der Boden dort ist nicht nur sandig, das ist grundsätzlich für die Vielfalt förderlich.« Die Schönheit und Heilkräfte der Natur wahrnehmen und die Zusammenhänge erkennen – das ist Marions Leidenschaft. Ihre Sammelleidenschaft muss sie heute allerdings bremsen: »Wildpilze dürfen nur in haushaltsüblichen Mengen von Privatpersonen gesammelt werden«, sagt sie, »wenn ich hier eine Führung mache, ist das aber gewerblich und deswegen dürfen wir nicht sammeln.« Ganz so rasch geht es nun doch nicht in den Birkenwald, denn auf dem Weg dorthin sind, schaut man nur genau hin, überall Pilze. Wie der Schopftintling, der hält den Blutzucker in der Balance. »Ich nehme ihn nur mit, wenn noch keine Tinte dran ist, der muss dann schnell verarbeitet werden.« Marion wuchs auf einem Selbstversorgerhof auf, studierte Medizin, brachte sich Pflanzenkunde und das alte Wissen um Pilze bei. Sie kennt die Aromen der Pilze und was man in der Küche damit machen kann.

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Pilze sind vielfältig; nicht nur im Geschmack, Geruch und ihrer Wirkung auf den menschlichen Organismus. Pilze sind auch ästhetisch eine Wucht. Wieder hat sie ein Exemplar gefunden, jede andere Spaziergängerin wäre daran vorbeigelaufen. Vorsichtig dreht sie den Pilz aus dem Boden. Kalkweiß ist das Stück, mit feinen Knospen sieht der Flaschenstäubling aus wie ein Korallenstock. Wer beim Pilze-Sammeln nur an Champignons und Pfifferlinge denkt, der wird verwundert sein und überrascht. Temperaturen just über dem Gefrierpunkt, schwere Schauer, alles kalt und nass, herbstliche Fülle geht in Verwesung über. Und genau das mögen Pilze. »Erster Bodenfrost, das ist top, jetzt kommen die Winterpilze in Gang.« Auf dem Weg ins Wäldchen geht es vorbei an Büschen und Bäumen. Marion, in braunem Regenmantel und blauem Kopftuch vorweg, hält hier und schaut dort. »Das sind Espenrotkappen, wir in Nordfriesland nennen ihn Pappelpilz, es gibt auch eine Birkenrotkappe, die kommt dann unter Birken vor«, erklärt sie und prüft die Kappe dieses Pilzes. »Der ist schon überreif. Ich verwende ihn sonst in einer Pilzpfanne. Am besten zusammen mit anderen Pilzen, die mehr Aroma haben. Denn vom Geschmack her ist die Espenrotkappe ein bisschen langweilig.

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Vom Aroma ein bisschen wie Steinpilz zwar, aber wenig intensiv.« Ein enger Pfad windet sich durch das Wäldchen. Von den Bäumen tropft es unablässig, nasses Farnkraut greift nach den Beinen, mit Wasser vollgesogenes Moos schmatzt unter den Schritten. Es ist dämmrig zwischen den Bäumen, es duftet nach nassem Waldboden. Es ist verwunschen und geheimnisvoll. Wenig später stehen Stämme wie eine Armee Gespenster, schwarze Silhouetten in einem seltsamen Licht. Sie stehen weit auseinander, dieser Wald ist offen. Buntes Laub, kleine Blätter liegen auf dem Boden, wie Konfetti einer längst vergessenen Feier. Es ist einsam und verlassen. Aber trotzdem oder gerade deshalb: was für eine Vielfalt am Boden! Deshalb ist Birkenwald immer gut, für diejenigen, die um die Geheimnisse der Pilze wissen.

Marion geht durch das Wäldchen, dann steht sie zwischen dichtem Farnkraut vor Birken auf einer Lichtung. Hier im Wald geht es Schlag auf Schlag. Pilze am Baumstamm, der Zunderpilz, Pilze am Boden. Pilze auf verrottendem Holz, Pilze zwischen moderndem Laub. Sie findet Birkenporling und Birkenröhrling, den Maronenröhrling. »Das ist ein Ockertäubling, dieser Pilz wurde früher zum Würzen verwendet«, erklärt Marion Wick.

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Auch der Nelkenschwindling, einer von den winzig kleinen Pilzen, die alle ähnlich aussehen, wurde früher, als echte Gewürze selten und teuer waren oder noch gar nicht bekannt, eben als solches in der Küche verwendet. »Der Nelkenschwindling schmeckt und riecht nach Gewürznelken.« In früheren Zeiten sei es selbstverständlich gewesen, ein umfangreiches Wissen über Pilze zu haben. »Sie haben wertvolles Eiweiß, oft spezielle Heilwirkungen und waren viel einfacher und günstiger zu bekommen als Fleisch.« Heute sei es ein wenig aus der Mode gekommen, Pilze zu allem Möglichen zu verwenden. »Aus Riesenbovisten wurde beispielweise auch Babypuder gemacht, weil sie antiseptisch wirken«, weiß Marion, »und der Zunderschwamm kann Glut sehr lange am Leben halten und wurde zum Transport von selbiger in einer Dose verwendet, aber aus dem Innenleben seiner Kappe konnte man auch Hüte herstellen, es ist wie Wildleder.«

Wieder Grünland unter den Füßen, drückt Marion die Äste eines Holundergebüsches auseinander. Und da sind sie, die Judasohren! Am knisterdürren und bemoosten Stämmchen, da wachsen sie und sehen aus – so dunkelbraun, fast schwarz – wie schlabberige China-Pilze. »Dazu passt Sojasauce und den Riesenbovist«, sie zeigt auf eine strahlend weiße Kugel, groß wie ein Medizinball im nassen Gras, »den kannst du dir, jung und frisch, braten wie ein Schnitzel.« Nur, wer das weiß. Alle anderen staunen still und der eiskalte Regen fällt.

Text: Oliver Abraham

MIT ALLEN SINNEN SAMMELN
Neulinge sollten nicht ohne erfahrene Begleitung »in die Pilze gehen«. Beim Sammeln und vor dem Verzehr unbedingt den Rat und Kennerblick Fachkundiger einholen. Oder gleich eine Pilzexkursion mit Marion Wick machen. Aktuelle Termine gibt es auf dem Ansageband unter 04665 / 9839856. Termine für Gruppen ab 5 Personen können auch separat vereinbart werden. www.the-fairies-garden.de

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