© Holm Löffler

Natürlich Sylt

Das Dreieckige Kleeblatt

Businessplan: Fehlanzeige. Startkapital: Überschaubar. Verkaufsschlager: Wimpel. Das kleine Start-Up-Unternehmen am Rantumer Hafen pfeift auf Konventionen und eckt gerne an. Mit den allerbesten Absichten und Aussichten.

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Die alte Nähmaschine rattert und lässt ihre Nadel pausenlos auf kleine Stoffdreiecke auf- und niedersausen. Dass sie auf ihre alten Tage nochmal ins Wimpelgeschäft einsteigt, hätte sie wohl auch nicht gedacht. Als gelernte Polsterin wollte sie im Ladenlokal ihres Besitzers eigentlich ihren wohlverdienten Ruhestand verbringen. Doch dann war da dieser trübe Sonntag vor rund einem Jahr, eine vage Idee und drei unbeirrbare Freundinnen, die ihre eigene Welt und die der kleinen Nähmaschine auf den Kopf stellen sollten. »Wir waren Kaffeetrinken am Deich, trafen zufällig auf unseren jetzigen Vermieter und waren noch am selben Abend Mieterinnen einer Gewerbefläche mit-samt Nähmaschine am Rantumbecken.« Wenn Mandy Forbert, Goy Hartwigsen und Carmen Seifert von den Anfängen ihres kleinen Business erzählen, überschlagen sich ihre Stimmen fast. Noch immer ist da diese mitreißende Begeisterung, ebenso wie das ungläubige »Zwick-mich-mal-Gefühl« und der Respekt vor der eigenen Courage. „Klar, rumgesponnen haben wir eigentlich schon immer. Dass wir irgendwann mal gemeinsam was machen wollen. Wir wussten ja, wir können was, brennen für Mode und Handwerk und sind kreativ. Aber wie sich das jetzt alles so gefügt hat, das ist schon …“ Mandy sucht nach einem passenden Wort und schlägt stattdessen die Hände über ihrem Kopf zusammen. Tatsächlich entwickelten die drei aus ihren Talenten und mit viel Tatkraft binnen eines Jahres ein erfolgreiches kleines Label namens Hafen 9, untergebracht im gleichnamigen Ladenlokal am Rantumer Hafen, das gleichzeitig als Showroom, Werkstatt, Verkaufsraum und Treffpunkt für Freunde und Familie fungiert.

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Mit der Ladentür öffnet sich ein kreativer Kosmos mit viel Liebe zum recycelten Detail. Eine Art aufgeräumtes Chaos, geschmackvoll und gemütlich, musikalisch unterlegt mit »The Beach Boys«, die sich auf dem roten Plattenspieler drehen. Über einer alten Werkbank hängen bunte Wimpel unterschiedlicher Größe, auf den Regalen breiten sich Mützen und Espressobecher aus Ton neben alten Schallplatten und Fotos aus, auf den Kleiderstangen hängen Sweatshirts, T-Shirts und Tops in Batik-Optik. Das große Schaufenster gibt den Blick frei auf die Weiten des Rantumbeckens und auf ein Sammelsurium aus Fund- und Kunststücken vom Strand. „Wir verarbeiten hier alles: Sylt, Sonne, Strand, Taucherflossen“, lacht Carmen, ohne vom dreieckigen Stoff aufzuschauen, den sie gerade mit der Nähmaschine umfährt. Die thront in der Mitte des Raumes auf einem Tisch und scheint sich mit ihrer zentralen Rolle angefreundet zu haben. Ihre drei neuen Besitzerinnen sitzen fröhlich schnackend um sie herum. Carmen näht, Goy stanzt mit der Ösenpresse Löcher in und Mandy fädelt Aufhänger durch den Segeltuchstoff, der nach diesen drei Arbeitsgängen zum kleinen Schlüsselanhänger in Wimpelform geworden ist. Echtes Teamwork.  
Seit Jahren gibt es die Freundinnen nur als Dreieck, dass die geometirische Figur nun auch noch eine Hauptrolle in ihrem beruflichen Leben spielt, ist vielleicht Schicksal. Die drei sind vor rund 20 Jahren nach Sylt gekommen („eigentlich nur für einen Sommer“), arbeiteten im Einzelhandel, lernten sich und die Insel kennen, spielten zusammen Beachvolleyball und feierten Siege mit Melonenbowle im Irish Pub. Mittlerweile ist Sylt ihre Heimat geworden, jede hat ihr eigenes (Familien-)Leben und Melonenbowle gibt es nur noch bei wirklich wichtigen Anlässen oder empfindlichen Beachvolleyball-Niederlagen - aber die Freundschaft ist geblieben. Und ist die Basis dieses unkonventionellen Geschäftsmodells, das die drei seit nunmehr einem Jahr mit „good vibes“ füllen.

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In schwarzen Lettern schreibt Goy diese beiden Worte auf den kleinen Wimpel. Überhaupt könnte man das, was sich hier abspielt, gut und gerne auf eine Wimpellänge zusammenfassen: „Wild at heart“, „Rüm hart klar kiming“, „Inselliebe“. Bezeichnend, dass diese drei Aufdrucke auch die Renner in ihrer Wimpel-Kollektion sind. Die Idee dazu lieferten die Badezeit-Flaggen, die an den Rettungsschwimmer-Häuschen entlang der Westküste hängen und anzeigen, ob Baden ok, gefährlich oder verboten ist. Ein Konzept, so stimmig wie am Reißbrett entwickelt, aber tatsächlich aus einem Zufall heraus entstanden. „Wir wollten eigentlich töpfern, aber mit klebrigen Händen verkaufen geht nicht so gut.“ Stattdessen entwickelten sie die Idee mit den Sylt-Wimpeln weiter und probierten sich aus mit Stoffen, Schriften und Farben. „Und was macht ihr, um Geld zu verdienen?“ war die am häufigsten gestellte Frage am Tag der Eröffnung. „Alle wünschten uns viel Glück, die meisten konnten aber nicht verbergen, dass sie mit der Idee nicht viel anzufangen wussten und rieten uns: Macht doch einen Crêpes-Laden“. Mittlerweile gibt es rund 350 unterschiedliche Motive, dazu verschiedene Schriftarten und -größen. Mit einem Skalpell werden die Schablonen, die man nicht häufiger als dreimal verwenden kann, angefertigt und über den zuvor zugeschnitten groben Canvas-Stoff gelegt. In mehreren Schichten Farben wird dieser dann bedruckt und mit Stichnähten verziert.  
Es geht familiär zu am Rantumer Hafen, ungezwungen. Nein, das Tor zur Welt ist er sicher nicht. Aber der Hafen ist schön, weil authentisch. Echt, ehrlich und ungeleckt. Und genau das mögen die hier ansässigen Gewerbetreibenden und mit ihnen immer mehr Gäste, die einen Bummel am Rantumer Hafen mit einem Spaziergang übers Rantumbecken verbinden. „Es ist lebendig hier, ohne dass es überlaufen wäre. Für uns genau die richtige Mischung“, sagt Mandy und verscheucht dabei Laufkundschaft, die gerne vom Rantumbecken rüberkommt – die Mücken. Eine Kundin betritt den Laden, die einen in Auftrag gegebenen Wimpel abholen möchte. Wie man den denn am besten befestigen könne, fragt sie. Mandy erklärt, wie man die Wimpel normalerweise im Innenbereich an-bringt. „Nein, nein, wir haben einen Fahnenmast draußen.“

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Think big! Das haben die drei Betreiberinnen vom Hafen 9 bislang noch nicht ganz verinnerlicht. Vielleicht macht sie genau das auch so sympathisch. Dass sich Leidenschaft für das, was man macht und was man verkauft, auch auszahlt. Es sei denn, ein Virus namens Corona durchkreuzt alle Pläne. „Click und Collect war ja ganz nett – aber man muss uns kennen und erleben, die Produkte in der Hand haben“, sagt Goy. Die werden mittlerweile auch in den heimischen vier Wänden hergestellt. „Eigentlich wollten wir all unsere Sachen hier vor Ort anfertigen, einfach um zu zeigen, seht her, hier entstehen Unikate in Handarbeit. Spätestens aber als die Handtasche einer Kundin mit frischer noch nicht getrockneter Farbe in Berührung kam, wussten wir, das funktioniert nicht“, erzählt Carmen. Also lagerten sie einen Teil der Produktion aus und malen, drucken und batiken seitdem zuhause – was bei Familienmitgliedern nicht uneingeschränkt gut ankommt, auch nicht bei Goy: „Letztens sagte mein Mann: Alles was sich hier nicht recht-zeitig in Sicherheit bringt, wird gefärbt oder gebatikt.“
Mit der Zeit hat sich das Hafen 9-Portfolio immer weiter ausgedehnt. Meistens hat sich das einfach so ergeben. Wie mit den Acryl-Sand-Arbeiten, die anfangs nur zu Dekozwecken im Laden aufgehängt wurden. Die Anfragen dazu ließen nicht lange auf sich warten und mittlerweile gehören auch die Leinwände zum Verkaufssortiment. Aus einzelnen, gebatikten T-Shirts ist eine ganze Batik-Kollektion geworden – inklusive Socken. Und aus Wimpel-Aufdrucken, die besonders gut ankommen, sogar eine T-Shirt-Edition: „Future Hugs“-Shirts hängen in schwarz und weiß neben der Sitzecke und lassen optimistisch in die Zukunft blicken. Die kleine Nähmaschine kommt auf ihre alten Tage auf jeden Fall jetzt schon richtig in Fahrt.

Hafen 9 · Showroom: Hafenstraße 9 · 25980 Rantum · Onlineshop: www.hafen9sylt.de

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