© AWI I Natürlich Sylt

Natürlich Sylt

Die Wächter der Meere

Wie verändert sich die Artenzusammensetzung im Wattenmeer und welchen Einfluss hat das auf die Nahrungskette? Wie wirken sich Veränderungen der Umweltbedingungen in der Nordsee auf die Küstenökosysteme aus? Und was haben die Pazifische Felsenkrabbe und schwarze Kunststofftanks damit zu tun? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigen sich die Wissenschaftler*innen des Alfred-Wegener-Instituts (AWI).

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Meeresökologe Dr. Christian Buschbaum ist auf dem Weg ins Watt zum Austernriff. Sein Forschungsstation, das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung liegt nur ein paar Meter entfernt hinter den Dünen. »Das ist unser Feldlabor«, sagt er und blickt zurück zum Institutsgebäude. Seit mehr als 100 Jahren erforschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen das Wattenmeer rund um Sylt. Das 2008 eingeweihte Gebäude des AWI Sylt in List ist also nicht die erste Forschungsstation der Insel, mit Sicherheit aber eine der modernsten. »Ein Institut direkt am Meer hat viele Vorteile – wir können zum Beispiel die Prozesse direkt beobachten und Veränderungen sehr schnell erkennen, um dann mit spezifischen Untersuchungsansätzen im Feld und Labor die den Veränderungen zugrunde liegenden Prozesse zu untersuchen.«

Vorsichtig und Schritt für Schritt, das Wasser knapp unter dem Rand der Gummistiefel, nähert er sich dem Austernriff. Christian Buschbaum untersucht die Wechselwirkungen der Arten in dieser Lebensgemeinschaft. Insbesondere derer, die durch den Menschen in das Wattenmeer eingeschleppt worden sind. Ein kleiner Krebs versucht sich zwischen Miesmuscheln und Austern zu verstecken. »Das ist eine Pazifische Felsenkrabbe, eine Art, die hier nicht heimisch ist, sie ist eingeschleppt worden und eigentlich, wie der Name es sagt, im Pazifikraum zu Hause.« Aber ist das nun schlecht? »Nicht unbedingt, nicht grundsätzlich. Natürlich sollte man die Einschleppung neuer Arten möglichst verhindern. Aber wenn sie schon da sind, dann sollte man damit aufhören, sie per se als Feind zu betrachten. Vielleicht nutzen die eingeschleppten Arten auch den heimischen«, sagt er und begutachtet den kleinen Krebs. »Als Biologe freue ich mich auch, etwas Neues zu entdecken und zu beobachten, wie es sich entwickelt. « Und Wissenschaftler wie Christian Buschbaum schauen genau hin. Sie beschreiben, klären Prozesse, geben Entscheidungshilfen. Das Erkennen von Zusammenhängen, das Im-Blick-Behalten, um gegebenenfalls auch Alarm zu schlagen – das ist die Aufgabe der Forscher und die Wächterfunktion der Wissenschaft.

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Er berichtet vom Japanischen Beerentang, einer eingeschleppten Alge, die sich im ständig von Wasser bedeckten Bereich des Wattenmeeres angesiedelt hat. Sie wächst heute dort, wo einst Seegraswiesen wogten, bevor sie hier vor fast hundert Jahren ausstarben. »Mit dem Seegras verschwanden auch heimische Arten wie einige Fischarten, die Große Schlangennadel beispielsweise. Mit dem Beerentang kehren sie nun zurück – diese fremde Art hat die ökologische Funktion des Seegrases teilweise übernommen.« Eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist und daher weiter beobachtet werden muss. »Naturräume sind nie statisch, sie sind immer dynamisch. Vor allem das Wattenmeer ist durch Veränderung geprägt, hier herrscht eine unglaubliche Dynamik.« Was Christian Buschbaum während seiner Untersuchungen im Wattenmeer ebenfalls im Blick hat, ist die Tide. »Wir sollten jetzt mal langsam zurück zum Institut!«

In einem der vielen Labore des AWI forscht Meike Bielefeld für ihre Bachelor-Arbeit im Fach Umweltwissenschaften. Die Studentin der Uni Oldenburg untersucht, welche Stellung die Pazifische Felsenkrabbe im Nahrungsnetz hat: Was und wie viel frisst diese eingeschleppte Art im Austernriff tatsächlich? Die Wechselwirkung und Beziehung zwischen der heimischen Strandkrabbe und der eingeschleppten Art aus dem Pazifik im Wattenmeer lässt noch viele Fragen offen. »Auf dem Dach des Institutes befindet sich ein Vorrats-Tank mit Wasser direkt aus dem Wattenmeer, das dort über eine etwa hundert Meter lange Leitung hineingepumpt wird. Wir haben in den Laboren optimale Arbeitsbedingungen, um spezifischen Fragestellungen nachzugehen. Dies wäre an einer Universität im Binnenland nicht möglich.« Sie schließt die Tür zu ihrem Aquarienraum auf, der nicht nur alarmgesichert, sondern auch temperaturüberwacht ist. Es blubbert und brummt, es ist Essenszeit für die Strandkrabbe aus der Nordsee und die Felsenkrabbe aus dem Pazifik. »In den Aquarien simuliere ich Ebbe und Flut, Sommer und Winter und untersuche gerade, wie die Krabben auf ein unterschiedliches Nahrungsangebot reagieren«, erklärt sie.

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Auch Petra Kadel simuliert zu Forschungszwecken die Gezeiten. »Wir werfen hier einen Blick in die Zukunft«, sagt die Biologisch-Technische Assistentin und blickt dafür nicht etwa in eine Kristallkugel, sondern in einen schwarzen Kunststofftank. Davon stehen auf dem Außengelände des AWI 24 Stück mit einem Fassungsvermögen von jeweils 1.800 Liter. »In diesen Tanks können wir Ebbe und Flut simulieren, indem wir die Versuchsorganismen auf einer Plattform herauf- oder herunterfahren.« Auch Strömung, Temperatur, Salz- oder Nährstoffgehalt lassen sich in den Meerwasser-Tanks verändern. »Mit dem Gehalt an Kohlendioxid in der Luft können wir sogar die Versauerung des Meeres simulieren und untersuchen, wie Tiere und Pflanzen in der Nordsee auf veränderte Umweltbedingungen reagieren.

Eben einen Blick in die Zukunft der Nordsee werfen. Von der Hochsee bis an die Küste: »Hier wurden sogar schon Salz- und Seegraswiesen nachgebaut.« Diese sind nicht nur ökologisch wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen, beide leisten auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Sie nehmen große Mengen CO2 aus der Atmosphäre auf und können einen guten Teil davon als Kohlenstoff im Boden speichern. Aber werden sie das auch noch können, wenn sich ihre Lebensbedingungen durch den Klimawandel verändern? Was passiert, wenn zu viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre in das Wasser gelangt? Petra Kadel geht in die Steuerzentrale der sogenannten Mesokosmenanlage, um über den Computer das Morgen des Meeres einzustellen. Denn die Zukunft der Meere steckt noch voller Rätsel. Und ein paar davon werden sich vielleicht im Hier und Jetzt auf Sylt lösen lassen.

Text: Oliver Abraham

Über das AWI
Die AWI-Wattenmeerstation Sylt ist aus einer 1924 gegründeten Feldstation für Austernforschung der Biologischen Anstalt Helgoland hervorgegangen. An der Station arbeiten derzeit 45 Wissenschaftler*innen der Sektion Ökologie der Küste sowie Servicemitarbeiter*innen. Hinzu kommen Gastforscher*innen aus dem In- und Ausland, die an der Wattenmeerstation ihre Feldarbeiten oder Laborversuche durchführen.

Das Erlebniszentrum Naturgewalten bietet ab Mai Führungen durch die Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts zum Thema »Meeresforschung für Jedermann«.Termine und weitere Informationen auf www.naturgewalten-sylt.de


Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI)
Hafenstraße 43 · 25992 List/Sylt
Tel.: 04651 / 956 0
info-sylt@awi.de
www.awi.de

 

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