© SMG/Holm Löffler

Natürlich Sylt

Der Playboy

Manfred Seeger liebt die Insel und das Spiel mit den Kugeln – eine Kombination, die ihm den inoffiziellen Titel Bossel-König von Sylt eingebracht hat.

Bosseln auf Sylt
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Kurhausstraße Kampen. Manfred »Manni« Seeger wuchtet einen Bollerwagen aus dem Heck seines Kombis. »Ich mag diese klaren, klirrend kalten Wintertage. Wenn du von hier oben aus die Weite der Insel sehen und fühlen kannst.“ Er taucht wieder ab in die Tiefen seines Kofferraums und holt zwei Kugeln hervor, die er abwechselnd von der rechten in die linke Hand wandern lässt. „Unsere Spielgeräte für heute“, grinst Manni und platziert sie neben Thermoskanne, Würstchenglas und Gurkenfässchen. Noch deutet alles auf eine Partie Boccia mit der Familie hin, aber spätestens als die Kiste Bier und diverse andere alkoholische Getränke in den Bollerwagen wandern, wird klar: Kindergeburtstag war gestern, heute ist Manni in Sachen Bosseln unterwegs. Eine Gästegruppe hat ihn als Guide für den friesischen Nationalsport gebucht. Moment – Sport und Alkohol? Wie geht das denn zusammen? „Naja, Zielwasser gehört schon mit dazu. Schließlich spielt der Spaßfaktor eine große Rolle. Aber sportlicher Ehrgeiz ist auch mit dabei.“ Manni muss es wissen. Schließlich kennt er den Sport nicht nur in seiner Funktion als Gästeführer, sondern eben auch als Aktiver. Als der gebürtige Nordhesse 1991 als Luftwaffen-Soldat nach Sylt kam, zog man ihn gleich ein ins Bossel-Team der Bundeswehr, das einmal jährlich gegen die damalige Bädergemeinschaft antrat.

Manfred Seeger erklärt die Spielregeln
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Mittlerweile organisiert er die regelmäßigen Bossel-Wettkämpfe der Marinekameradschaft Sylt und der ehemaligen Bundeswehrsoldaten. „Im Grundsatz dient Bosseln der Unterhaltung an der frischen Luft. Und der sportlichen Betätigung der Bevölkerung in der saisonschwachen Zeit.“ Traditionell wird im Winter gebosselt. Bei knackigem Frost, wärmendem Punsch und anschießendem Grünkohlessen. Für Manni ist das Bosseln Teil seines Lebens, seit seiner Pensionierung im Jahr 2004 Teil auch seiner Leidenschaft, die Liebe zur Insel und zum Kultur gut Bosseln an Gäste weiterzugeben. Denn Bosseln (mit langem oooooo gesprochen) ist keineswegs die Umschreibung für ein Outdoor-Besäufnis bei Tageslicht, es ist Ausdruck nordfriesischer Tradition. Die Ursprünge liegen weit zurück. Manche Quellen besagen, dass die Friesen bereits gegen die Römer mit in der Sonne gebrannten Lehmkugeln kämpften. Andere berichten, dass der Ursprung des Bosselns ins Mittelalter zurückgeht und es sich von Holland aus nach Ost- und Nordfriesland verbreitete. Sicher ist, dass es das Bosseln in Nordfriesland bereits zu Zeiten Theodor Storms gab – nachzulesen in seiner Novelle »Der Schimmelreiter«. Während in anderen Teilen Nordfrieslands auch am Deich, auf Feldern und Wiesen gebosselt wird, wird auf Sylt nur auf Wegen und Straßen gebosselt. Allen Bosselgebräuchen gleich ist das Ziel, eine mit Bleikern gefüllte Holzkugel mit möglichst wenigen Würfen über eine festgelegte Strecke zuwerfen.

Manfred Seeger
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Im Hotel Rungholt logieren an diesem Wochenende Gäste, die auch gerne spielen. Zwölf ausgewählte Leser des Magazins Playboy freuen sich im Rahmen des Gentlemen´s Weekend auf „schnelle Autos, schöne Frauen und traumhafte Geschmackserlebnisse“. Dass das Thema Bosseln nicht unmittelbar in eine der drei Freizeitkategorien passt, aber trotzdem Programmpunkt ist, stört niemanden. Am allerwenigsten Manni. Der steht mittlerweile mit Bollerwagen und Klemmbrett am Eingang des Hotels und begrüßt jeden Teilnehmer mit Handschlag. Die Stimmung ist prächtig, man scherzt, man lacht, man friert – schnell nochmal rein und Schal und Mütze holen. Nachdem Hoteldirektor Dirk Erdmann und Playboy-Chefredakteur Florian Boitin die Bossel-Spiele offiziell für eröffnet erklären, übernimmt Manni und erklärt das Regelwerk: „Regel 1: Beim klassischen Bosseln spielen zwei Mannschaften gegeneinander. Die Guten gegen die Schlechten. Regel 2: Die Schlechten sind immer die anderen. Regel 3: Als Wurfstrecke werden öffentliche Wege und Straßen benutzt. Wir bosseln von hier aus los Richtung Uwe-Düne, biegen dann links ab Richtung Strönwai und dann über die Kurhausstraße zurück. Regel 4: Erlaubt sind alle Wurf- und Stoßtechniken. Dabei ist von Vorteil, die Kugel rechtzeitig loszulassen. Regel 5: Die Mannschaften werfen abwechselnd und müssen immer von dort weiterspielen, wo ihr Bossel zuletzt liegen geblieben ist – und das ist nicht immer auf dem Weg. Wer mit den wenigsten Würfen die Gesamtstrecke absolviert hat, zählt nicht zu den Schlechten.

Bosseln
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Regel 6: Die Strecke darf vor und während des Bosseln nicht beschädigt oder verändert werden. Natürliche Hindernisse sind als solche zu akzeptieren und beim Wurf zu berücksichtigen. Regel 7: Sollten ein oder mehrere Spieler erkennbare Anzeichen von Schwächen zeigen, hat die ganze Mannschaft mit vereinten Kräften an deren Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit mitzuwirken. Noch Fragen?“ Nein, natürlich nicht. Zum Aufwärmen macht der erste Schnaps des Tages, ein sogenannter Bullenschluck, die Runde. Und der hat es in sich: Auf dem Etikett der Flasche steht: „Zur inneren Einreibung und zum Desinfizieren:“ Als erfahrener Spielleiter weiß Manni, wie hoch er bei seinen Gruppen dosieren kann. Bei dieser Gruppe dosiert er gleich ziemlich hoch. Bevor es auf die Strecke geht, müssen aber noch schnell die Mannschaften gebildet werden. „Ihr“, Manni teilt die Gruppe mit einem imaginären Handkantenschlag durch, seid Team Rot, spielt also mit der roten Kugel, ihr seid Team Gelb, spielt mit der gelben Kugel. Eigentlich ist die Ur-Kugel beige – aber die findet man nicht so gut wieder. Deshalb die farbigen Kugeln, die laufen aber genauso gut.“ Während Manni die Namen auf den Spielbogen einträgt, kommt der erste Seitenhieb. „Team Gelb ist das ganze Wochenende schon die schwächere Gruppe.“ High five unter den Roten. Nach diesen Formalitäten und ersten zaghaften Versuchen, das gegnerische Team nervös zu machen, geht es endlich los.
Manni als Spielleiter vorweg, dicht gefolgt von Torben, der zum Bollerwagen-Dienst verdonnert wurde. Während Florian den ersten Wurf für Team Gelb macht, greift Hubertus beherzt in die Bollerwagen-Bar und entscheidet sich für einen Mümmelmann. Andere bevorzugen ein kühles Blondes oder einen warmen Kakao mit Schuss. Meter um Meter bosselt sich die Gruppe Richtung Uwe-Düne, jeder Wurf wird kommentiert („Jetzt kommt die Gefahr“), beklatscht („Jawoll, das ist unsere Mann“), oder mit einer La-Ola-Welle begleitet. Besonders gelungene Würfe, wenn also die Kugel richtig gut rollt (Minimum 200 Meter) werden von Manni anerkennend mit einem „Dieser Wurf verdient ein Zwischenprost“ geadelt. Andreas kommt aus der Schweiz, bosselt heute zum ersten Mal. „Ein lustiger Sport. Erstaunlich, was für Folklore woanders existiert.“ Erstaunlich auch, wie manch einer versucht die Kugel seines Mannschaftskollegen ein paar Meter weiter zu bewegen. Florian feudelt in guter alter Curling-Manier, kurz bevor die Kugel zum Liegen kommt, die Wegstrecke sauber, Michael geht sogar so weit und bietet dem Gegner isotonische Getränke an. Nach zwei Stunden und ungefähr sechs Kilometern trifft die Gruppe wieder vollzählig am Hotel an. Der einzige, der den Überblick noch nicht verloren hat, ist Manni, der trotz diverser Ablenkungsmanöver konzentriert die Anzahl der Würfe in den Spielberichtsbogen eingetragen hat. Nach kurzer Auswertung wird das Ergebnis bekannt gegeben: „Vorab: Es gab keine Schlechten. Es war ein sehr enges Rennen. Die rote Gruppe hatte 26 Wurf, die gelbe Gruppe brauchte 28 Wurf. Herzlichen Glückwunsch Team Rot!“ Fabiano aus Team Gelb fordert daraufhin den Videobeweis „Ich hasse es Zweiter zu werden.“ Andreas bleibt wie auch sein Heimatland neutral: „Man muss auch gönnen können.“ Die Truppe steht nun um den Bollerwagen herum und analysiert das Spiel bzw. die einzelnen Würfe. Die dritte Halbzeit ist angebrochen. Und die kann dauern, an diesem klaren, klirrend kalten Tag.

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