© Holm Löffler

Natürlich Sylt

© Holm Löffler

Die „Natürlich Sylt“ ist umgezogen - aus dem gedruckten Großformat mitten hinein in ein multimediales Abenteuer. Was das für Vorteile bringt? Kurz und auf den Punkt: Die vertrauten Qualitäten bleiben und etliche neue kommen hinzu. 

Wie gehabt tauchen wir tief ein in Themen jenseits aller Sylt-Klischees. Wir liefern profunde Recherche, frische Perspektiven auf Sylter*innen und deren Lebenswelten, ein innovatives Layout und dazu Sylt-Fotos, die Lust machen auf Meer. Dazu kommen die Qualitäten des multimedialen Publizierens: „Natürlich Sylt“ lässt sich jetzt immer und überall erleben. Manche Story gibt’s zum Zuhören als Audiodatei oder garniert mit filmischen Elementen. Natürlich ist die neue Erscheinungsform auch nachhaltiger.

Die „Natürlich Sylt“ widmet sich künftig dreimal im Jahr intensiv einem einzigen Thema. Haufenweise Tipps und Empfehlungen gibt’s obendrauf.

Da im Jahr 2023 der Naturschutz auf Sylt sein 100-jähriges Jubiläum feiert, liegt nichts näher, als die erste Ausgabe genau diesem Thema zu widmen. Ausgabe zwei erscheint am 15. Januar 2024. Da dreht sich dann alles um Menschen, die Sylt zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. „Gekommen, um zu bleiben“ heißt der Titel.

Jetzt aber viel Spaß und weite Sylt-Horizonte mit der ersten Ausgabe der neuen digitalen „Natürlich Sylt".

Ihr Sylt Marketing-Team

Ausgabe Herbst 2023

Naturschutz auf Sylt

Die Natur ist das größte Kapital der Insel. Sie zu schützen eine der wichtigsten Aufgaben. Was das für Sylt in den letzten 100 Jahren bedeutet hat und in Zukunft bedeuten wird, beleuchten wir aus drei unterschiedlichen Perspektiven.

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100 Jahre 
Naturschutz 
auf Sylt

gestern - heute - morgen

Wann und unter welchen Umständen ist Natur eigentlich „natürlich“ und welche Rolle spielt der Menschen darin als Nutzer, als Zerstörer und als Beschützer? Die Antwort darauf ist durchaus nicht eindeutig, unterliegt einem steten gesellschaftlichen und politischen Wandel, neuen Erkenntnissen und sogar dem Zeitgeist. Was das für Sylt in den letzten 100 Jahren bedeutet hat und in Zukunft bedeuten wird, erfahren Sie hier...

  • Die Anfänge

  • Die Protagonisten

  • Die Naturschutzgebiete

  • Die Ausstellung

  • Das Buch & die Diskussion

Die Anfänge

Diesen Text vorlesen lassen:

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Es war ein schnödes, polizeiliches Dekret, das am 3. April 1923 in Kraft trat und das Listland im Norden der Insel und das Morsum Kliff als erste Gebiete Schleswig-Holsteins unter Naturschutz stellte. Was war passiert in der Mensch-Umwelt-Beziehung auf der Insel, dass man offenbar vehement um die bizarre Insellandschaft bangen musste? Jahrhunderte lang hatten die Menschen die schroffe und oft unwirtliche Sylter Natur zum eigenen Überleben genutzt. Sie hatten Möweneier und Beeren gesammelt, Deiche angelegt, Dünen bepflanzt und die Halme in diverse Alltagsgegenstände verwandelt. Sie hatten Fische und Enten gefangen, Heide als Brennmaterial genutzt, Pflanzen als Heilkräuter, die Erde landwirtschaftlich bestellt und waren zur See gefahren.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschreibt ein Schüler, der Keitumer Peter Hansen, seine Heimat, die damals seinen Schätzungen zufolge von ungefähr 2.400 Bewohner*innen besiedelt war. Im Detail erklärt der Heranwachsende die Nutzungszusammenhänge auf der Insel. Sein Manuskript ist eine aufschlussreiche Quelle, die erst vor wenigen Jahren aufgefunden wurde. Was dieser Bericht deutlich macht: Schon vor der Ankunft der ersten Besucher*innen war Sylt eine Kulturlandschaft und keine Wildnis.

Der massive Wandel in diesem eingespielten Gefüge aus Flora, Fauna, Klima und Mensch begann vor 200 Jahren - mit dem Eintreffen von jungen Forscher*innen, die die Sylter Natur, insbesondere die Vogelwelt, unter die Lupe nahmen, Eier sammelten und Tiere erschossen, die ihnen vor die Büchse flogen. Sie sorgten dafür, dass sich die bislang arten- und zahlreiche Population der Seevögel auf Sylt nicht mehr sicher fühlte und dass die Bestände signifikant schrumpften. Unter den sehr frühen Gästen waren auch nach Schönheit und Ursprünglichem suchende Künstler*innen, die sich gerne jenseits der schon angelegten Pfade bewegten, durch die Dünen stapften und Tiere in ihren Gewohnheiten störten.

Dann entdeckten Mediziner*innen in der Mitte des 19. Jahrhunderts das offene Meer und das raue Klima für die Gesundung erschöpfter Körper und Seelen. Langsam aber sicher wuchs der Kreis der Sommerfrischler, die auf Empfehlung ihrer Ärzte über das dänische Hoyer nach Munkmarsch anreisten. Mit ihnen entstand die Infrastruktur für „Fremdenverkehr“: Pensionen und Hotels wurden gebaut, Badekonzessionen für den Strand vergeben, Schienen über die Insel verlegt. Im Schlepptau der Sommerfrischler kamen Geschäftsleute mit dem „richtigen“ Riecher für gute Erträge, die viel später im dritten touristischen Boom nach dem Zweiten Weltkrieg von den politischen Aktivisten als „Syltbeglücker“ bezeichnet wurden. Zeitgleich mit den ersten Badegästen wuchs die Überzeugung, die Sylter Küste vor den Kräften des Meeres schützen zu müssen. Die ersten Buhnen, die sich in ihrem Effekt im Nachhinein als kontraproduktiv erwiesen, wurden gebaut.

© Archiv Deppe

Zu all den Kräften, die das ursprüngliche Inselgefüge veränderten, kam das Militär: Der erste große Schub an militärischer Infrastruktur mit Übungsplätzen, Lagern und Stellungen wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Norden und Süden der Insel installiert. Während die Badegäste in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918 keinen Zutritt mehr auf die Insel bekamen, wurden 5.000 Soldaten auf Sylt stationiert. Der militärische Einfluss hatte die bislang größte Auswirkung auf die Inselnatur und deren Bewohner*innen.

Schon vor dem Krieg wiesen Inselliebhaber wie Ferdinand Avenarius auf die Zerbrechlichkeit der 99 Quadratkilometer Sylt hin. Als sich der Bau eines Bahndammes Anfang der 20er Jahre ankündigte, gelang einer Gruppe von Naturschützern, unter ihnen Knud Ahlborn, durch zähes Ringen der große Coup: Die Inselnatur wurde im Norden und rund um das geologisch einzigartige Morsum Kliff zum Naturschutzgebiet erklärt.

© Archiv Deppe
© Archiv Deppe

Eine weitere militärische Nutzung der Naturschutzgebiete war übrigens von den Schutzbestimmungen im April 1923 ausgeschlossen, weshalb ganz Sylt im Zuge der NS-Aufrüstung der 30er Jahre in einen militärischen Stützpunkt der Sonderklasse verwandelt wurde. Ein bis dahin unerreichter Eingriff in die Inselnatur mit Kasernen, Hangars, Flugplätzen, Betonstraßen, Depots, Schießplätzen etc. Dabei war es dem Naturschutz noch zu Beginn der 30er Jahren gelungen, die Vogelkoje und Teile des Wattenmeers unter Schutz zu stellen und die Bebauung der Kampener Nordheide zu verhindern.

Durch den Krieg war die Insel zerrüttet, übersäht mit Bunkern, das Meer voller Minen. Die auf Sylt stationierten Soldaten verließen die Insel als Gefangene der englischen Alliierten. Parallel zu den Aufräumarbeiten nach dem Krieg und der Ankunft von 14.000 Flüchtlingen, setzte bereits Ende der 40er Jahre die dritte touristische Ära der Insel ein, die eigentlich bis heute anhält und wieder für massive Eingriffe in die Natur und weitere Unterschutzstellungen sorgte. Die Balance zwischen Urlaubsinsel und Natur- und Lebensraum, profitorientierten Begehrlichkeiten und gesunden Strukturen zu halten, beschäftigt die Inselpolitik, den Natur-, Küsten- und Klimaschutz wie kein anderes Thema.

Die Protagonisten

An diesen Sylter Naturschützer*innen kommt niemand vorbei

© Archiv Deppe

Ferdinand Avenarius

  • 1856 - 1923

  • Der Verleger und Publizist Ferdinand Avenarius war wesentlich daran beteiligt, dass die Dünen- und Heidelandschaft zwischen Kampen und List 1923 unter Naturschutz gestellt wurde.

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Knud Ahlborn

  • 1888 - 1977

  • Knud Ahlborn gründete das Klappholttal und 1923 (offiziell eingetragen 1924) den Verein "Naturschutz Sylt", dem er bis 1975 vorstand.

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Clara Enss

  • 1922 - 2001

  • Die Schauspielerin und Braderuper Pensionswirtin engagierte sich mit anderen Sylter*innen in der Bürgerinitiative gegen den Bau des „Atlantis“-Kolosses an der Westerländer Promenade.

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Dr. Roland Klockenhoff

  • 1957

  • Dr. Roland Klockenhoff übernahm 1994 den Vorsitz der Naturschutzgemeinschaft Sylt von Clara Enss und machte den Verein zu einer modernen Institution für Umweltbildung und Naturschutz. 

Die Naturschutzgebiete

Rund die Hälfte der Insel steht unter Natur- und Landschaftsschutz. Sylt liegt inmitten 
der größten Nationalparkfläche der Bundesrepublik und ist Teil des globalen 
Schutzsystems Weltnaturerbe. (Quelle: Naturschutzgemeinschaft Sylt)

Einfach mithilfe der Pfeile durch die unterschiedlichen Naturschutzgebiete stöbern!

Violette Heide vor heller Wanderdüne unter blauem Himmel auf Sylt.
© Lynn Scotti I Sylt Marketing

Nord Sylt

„Nord Sylt" erstreckt sich vom Ellenbogen über das Listland bis Kliffende bei Kampen. Es umfasst großflächige Dünengebiete sowie die höchsten natürlichen Sandberge und die einzigen Wanderdünen Deutschlands.

 

Gründung: 1923

Größe: 1.722 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Sölring Foriining

Vogelkoje Kampen

„Vogelkoje Kampen“ liegt etwa drei Kilometer nördlich von Kampen und beherbergt rund 130 Pflanzen- sowie rund 40 Brutvogelarten.

 

Gründung: 1935

Größe: 9 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Lynn Scotti | Sylt Marketing

Nielönn

„Nielönn“ nördlich von Kampen entstand durch die natürliche Bildung neuen Vorlandes. In dem Brackwasser- und Zwischenmoor-Biotop brüten und rasten seltene Vogelarten.

 

Gründung: 1979

Größe: 64 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Jutta Vielberg | Sylt Marketing

Rotes Kliff

„Dünenlandschaft auf dem Roten Kliff/Sylt“ erstreckt sich zwischen Wenningstedt und Kampen. Das Gebiet weist große Heideflächen mit Glocken- und Besenheide sowie Krähenbeere auf.

 

Gründung: 1979

Größe: 177 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Sabine Braun | Sylt Marketing

Braderuper Heide

„Braderuper Heide“ zwischen Braderup und Kampen umfasst ausgedehnte Heideflächen mit einer Art der subatlantischen Küstenheide sowie das steil zum Watt abfallende Weiße Kliff mit seinen Schluchten, die in grünes Vorland übergehen.

 

Gründung: 1979

Größe: 137 Hektar

Zuständig: Naturschutzgemeinschaft Sylt

© Sabine Braun | Sylt Marketing

Morsum Kliff

„Morsum Kliff“ umfasst die Steilküste im Norden von Morsum, an der rund zehn Millionen Jahre Erdgeschichte studiert werden können.

 

Gründung: 1923

Größe: 44 Hektar

Zuständig: Naturschutzgemeinschaft Sylt

© Lynn Scotti | Sylt Marketing

Baakdeel

„Baakdeel“ umfasst das Dünengebiet zwischen Westerland und Rantum.

 

Gründung: 1979

Größe: 242 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Jutta Vielberg | Sylt Marketing

Rantum Becken

„Rantum-Becken“ bietet als ehemaliger Seeflughafen über 60 nachgewiesenen Brutvogelarten und einer zunehmenden Zahl weiterer Vögel Platz für Brut und Rast. Aufgrund dieser Bedeutung hat es auch den Status eines Europareservats.

 

Gründung: 1962

Größe: 597 Hektar

Zuständig: Verein Jordsand

© Jutta Vielberg | Sylt Marketing

Rantumer Dünen

In „Rantumer Dünen" zwischen Rantum und Hörnum sind in einigen feuchten Dünentälern die beiden Sylter Sonnentauarten zu finden.

 

Gründung: 1973

Größe: 397 Hektar

Zuständig: Sölring Foriining

© Lynn Scotti | Sylt Marketing

Hörnum Odde

„Hörnum Odde“ umfasst das besonders gefährdete Dünengebiet südlich von Hörnum und ist vorallem wegen seiner wilden Dynamik eindrucksvoll.

 

Gründung: 1972

Größe: 157 Hektar

Zuständig: Schutzstation Wattenmeer

Die Ausstellung

Kulisse mit Schutzstatus

Zum 100-jährigen Jubiläum des Naturschutzes auf Sylt hat die Sölring Foriining eine Reihe von Veranstaltungen kuratiert. Darunter: eine Ausstellung mit Kunst und Malerei aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Der Rote Faden aller Werke: Sylt, seine Flora und Fauna - so, wie sie von Kreativen aller Richtungen wahrgenommen, dargestellt und dabei gerne auch idealisiert wurden. 

Künstler*innen aus den Metropolen gehörten zu den neuen „Natur-Nutzer*innen“, die neben Forscher*innen, Sommerfrischlern, Geschäftsleuten und dem Militär die Insel für ihre Zwecke entdeckten und damit vehement in ihre Ursprünglichkeit eingriffen. Genau diese Entwicklung war es, die nach und nach zur offiziellen Unterschutzstellung von Inselflächen führte. Die Ausstellung verdeutlicht, dass es durchaus nicht eindeutig und stets dem Zeitgeist geschuldet ist, wie und was in der Natur eigentlich als schützenswert definiert wird.

© Nordfriesland Museum, Nissenhaus
  • 9. Juli 2023 bis 7. Januar 2024

  • Sylt Museum, Am Kliff 19, Keitum

© Sylt Museum

Sylt und die Kreativen

Ein Beispiel

  • Helene Varges und ihre Lebensgefährtin, die Autorin Margarete Boie, zogen nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam auf die Insel und stellten mit ihrem künstlerischen bzw. literarischen Werk eindrucksvolle Studien über die Sylter Natur und ihre Menschen an.

  • Hier malte Helene Varges die Dünenrose, die massiv von der Rosa Rugosa verdrängt wurde.

Das Buch & die Diskussion

Impulse für die Zukunft

  • Das Buch zum Jubiläum: Sylt. Die fragile Schönheit: 100 Jahre Naturschutz. Eine Inselgeschichte.

Am 7. August 2023 begeisterte eine Lesung mit der Umwelthistorikerin Anna-Katharina Wöbse, die im Auftrag der Braderuper Naturschutzgemeinschaft Sylt zum Jubiläum das überaus erkenntnisreiche Buch „Sylt - Die fragile Schönheit“ geschrieben hat, in der die gesamte Inselentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet wird. Was und wer ist der Naturschutz auf Sylt eigentlich? Was lernen wir aus der Geschichte für die Zukunft der Inselnatur? Was kann jeder von uns tun? Um diese Frage zu beantworten, folgt das Buch vielen Spuren und liefert Impulse für zukünftige Anforderungen. 

Professionelle und ehrenamtliche Sylter Naturschützer*innen kamen am 8. August zu einer erstmaligen Podiumsdiskussion des „Freundeskreises der Sölring Museen" zusammen: Man tauschte sich vor einem interessierten Auditorium über das Gestern, das Heute und Morgen des Naturschutzes auf der Insel aus.

Trotz unterschiedlicher Positionen der Akteur*innen gab es einen breiten Konsens über die Anforderungen der Zukunft: Im besten Fall werden die Notwendigkeiten des Klimaschutzes zum Katalysator für die Umwelt-, Küsten- und Naturschutz-Maßnahmen und auch für die Ausrichtung eines nachhaltigen, sanften Tourismus. Insulaner*innen sollten einen Lebensraum vorfinden, mit dem sie sich identifizieren, für den sie sich engagieren und in dem sie gerne Gastgeber*innen sind.

Naturschutz - rückwärts gerichtet oder Zukunftsversprechen?

© Imke Wein

Umwelthistorikerin Dr. Anna Wöbse ist sich sicher, dass Sylt dem Naturschutz verdankt, dass „es in bestimmten Bereichen überhaupt noch eine Zukunft gibt“.

Wie viele Jahre denkt der Naturschutz voraus?

© Imke Wein

Dr. Roland Klockenhoff über die Vision der Sylter Naturschützer*innen, dass die insulare Landwirtschaft künftig auf Chemikalien und Pestizide verzichtet.

Wir wollen eine Insel, die ökologisch und klimagerecht ist. Biologische Landwirtschaft, keine Pestizide, den Individualverkehr auf das Notwendigste reduziert. Oder um es mal in Werbeworte zu fassen: Sylt - ein Paradies, in dem die Natur geachtet wird,
formuliert es der Vorsitzende der Naturschutzgemeinschaft Dr. Roland Klockenhoff im Jubiläumsbuch.

Gesichter des Sylter Naturschutzes

© Imke Wein

Dr. Matthias Strasser

Erlebniszentrum Naturgewalten

© Imke Wein

Maren Diedrichsen

Eigentümergemeinschaft Listland

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Dr. Anna Wöbse

Umwelthistorikerin und Autorin

© Imke Wein

Manfred Uekermann

Landschaftszweckverband Sylt

© Imke Wein

Dr. Roland Klockenhoff

Naturschutzgemeinschaft Sylt

Sven Lappoehn

Sölring Foriining

  • Text: Imke Wein

© Imke Wein

Natürlich engagiert!

Drei Biotope und ihre Beschützerinnen

„Wenn auf Sylt etwas funktioniert - dann der Naturschutz!“. Dieses Statement ist auf Sylt ein geflügeltes Wort. Gerne verbunden mit einem stillen Seitenhieb Richtung anderer großer Themen, bei denen das insulare Zusammenspiel weit weniger groovt. Organisatorisch funktioniert das mit dem Naturschutz so: Die Schutzgebiete der Insel werden von vier Institutionen (Naturschutzgemeinschaft Sylt, Sölring Foriining, Verein Jordsand und Schutzstation Wattenmeer) betreut. In die Sylter „Naturschutzrunde“ gehören noch weitere Akteure wie der insulare Landschaftszweckverband, das Alfred-Wegener-Institut in List, der NABU, der Sylter Hegering, die Eigentümergemeinschaft Listland oder auch das Erlebniszentrum Naturgewalten. Seit der Pandemie haben alle Institutionen ihre Zusammenarbeit noch intensiver werden lassen und enger miteinander verzahnt. Denn nur so macht es Sinn: Flora und Fauna kennen weder Grenzen noch Zuständigkeitsbereiche. Gegenseitige Inspiration, gemeinsame Projekte und Konzepte für das Monitoring der Sylter Tier- und Pflanzenwelt, Schutzprogramme, Formate zur Umweltbildung - all das entsteht in regelmäßigen Arbeitsrunden und sorgt für ein gutes Miteinander auf allen Ebenen.

Wir stellen stellvertretend für alle im Naturschutz auf Sylt Engagierten drei „Natur-Beschützerinnen“ und ihre Arbeitsplätze vor.

© Imke Wein

Charlie Esser

Ihr Herzensprojekt: Strandinseln als Schutzraum für bedrohte Pflanzen und Tiere

© Imke Wein

Angela Schmidt

Ihr Lieblingsbiotop: Salzwiesen als Lebensraum zahlreicher Überlebenskünstler

© Imke Wein

Maike Lappoehn

Ihr Spezialgebiet: Heideflächen als wertvolle Kulturlandschaft und Rückzugsort

© Imke Wein
Rantumer Salzwiesen

Gut zu wissen

Rund 50 Prozent der Inselfläche steht unter Natur- und Landschaftsschutz. Zählt man die schützenwerten Flächen anderer Kategorien noch hinzu, gilt auf mehr als Zweidrittel der 99 Insel-Quadratkilometer: Naturschutz first! Mit Führungen, aktuellen Ausstellungen und multimedialen Museen können Sylter und Gäste eintauchen in die Faszination der Insel-Ökosysteme und erfahren, was jede*r von uns dazu beitragen darf, damit die Inselnatur geschützt, die Biodiversität der Sylter Natur erhalten und noch verbessert werden kann. 

Charlie und die klare Botschaft

Die Frau

© Imke Wein

„Artenvielfalt zu erhalten und Klimaschutz voranzubringen, ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschheit fortbesteht. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache und keine Prophezeiung.“

Charlie Esser gehört zu der seltenen menschlichen Spezies der „radikalen Sommerbarfuss-Läufer*innen“. Auch steinige Wege zum Strand oder die Querfeld-Ein-Strecken durch die Heide können sie dabei nicht schrecken - ihre Füße sind entsprechend trainiert. Einziges „No-Go“ für sie: die wilden Brombeerhecken in der Heide.

Wenn sie in den Dünen Stranddisteln kartiert oder Kreuzkröten zählt, wählt sie auf ihren Touren von einem Biotop zum nächsten allein Füße und Fahrrad als Fortbewegungsmittel. „Das mit dem Barfußlaufen ist eine kleine Macke von mir. Dass ich kein Auto benutze - damit bin ich auch als Vorbild unterwegs“, sagt die Sylter Naturschutzbotschafterin mit ihrer stets freundlich-dezidierten Art.

Charlie Esser las als Kind mit Begeisterung Werke von Stephen Hawkins. Möglicherweise hätte es für die 26-Jährige Sylter Naturschutzbotschafterin auch die komplexe Geophysik als Arbeitsfeld werden können. Doch am Ende entschied sie sich für das Studienfach Geographie und schloss die Insel während ihres Freiwilligen Ökologisches Jahres bei der Naturschutzgemeinschaft Sylt in ihr Herz. 

Als ihr angetragen wurde, ab März 2023 das noch neue Amt „Naturschutzbotschafterin Sylt“ von Stella Kinne zu übernehmen, zögerte sie nicht lange. Was nach den vertraglich vorgesehenen zwei Jahren Sylt für sie kommt? „Mal sehen. Ich möchte aber wahrscheinlich meinen Master machen - gerne auch in einem Thema der Meeresbiologie. Das wäre toll“, sagt die Botschafterin für die Artenvielfalt und den Naturschutz auf der Insel.

© Imke Wein
© Imke Wein
© Imke Wein
© Stella Kinne

Der Job

Frischluftsehnsucht, exzellente Kommunikations-Skills, ein hohes Maß an Selbstständigkeit und profunde Kenntnisse der Zusammenhängen zwischen Flora, Fauna und Umwelt sind das, was es braucht, um als Sylter Naturschutzbotschafterin seine Frau zu stehen. Charlie ist Schnittstelle und Gesicht des Sylter Naturschutzes. Finanziert wird ihre Stelle aus verschiedenen Töpfen - zu den Financiers zählen die Nationalparkstiftung, die Bingo-Umweltlotterie und der Naturschutzbund. Öffentlichkeitsarbeit, Führungen und Aktionen zu projektieren und durchzuführen, gehört zu Charlies täglichen Aufgaben. Dazu kommt das Kartieren von Arten in unterschiedlichen Sylter Ökosystemen und die Mitarbeit in regionalen und internationalen Projektgruppen. „Es gibt zum Beispiel ein ,Dünennetzwerk’, da ist auch Frankreich und England mit von der Partie. Superspannend, über Grenzen hinweg Standards zu setzen, Inspiration und Erkenntnisse über die Dünen als Ökosystem zu sammeln“, versichert die „Stimme der Sylter Natur“.

Die Projekte

© Imke Wein
  • Die invasive Art der Cranberry, eingeschleppt aus den USA, verdrängt heimische Arten wie die Moosbeere.

  • Im Herbst geht Charlie mit Interessierten los, um die Dünentäler von der Cranberry zu befreien. Die Helfer*innen können die extrem vitaminhaltigen Beeren dann zuhause verarbeiten. 

© Imke Wein
  • Die Strandplatt-Erbse gehört zu jenen faszinierenden Pflanzen, die sich tief im Sand verankern und exzellent Wasser speichern können. Sie tragen dazu bei, die Dünen zu befestigen und so die Küsten schützen.

  • Die Erbsen sind köstlich und essbar, sollten aber nicht in Mengen geerntet werden! Genauso wenig wie andere Schätze aus Naturschutzgebieten.

Angela und die Faszination der Salzwiesen

Die Frau

© Imke Wein

Angela Schmidt war von Haus aus ein reines Landwesen: Sie wuchs im südlichen Niedersachsen auf, begeisterte sich bei Familienurlauben für Küsten und Meere. Die heute 34-Jährige studierte nach dem Abi Biologie und streckte ihrer Fühler während der akademischen Ausbildung in Richtung Meeresbiologie aus: Schon als Studentin lernte und arbeitete sie am Senckenberg Institut für Küsten- und Meeresforschung in Wilhelmshaven. Nach einer Zeit in der Umweltbildung des NABU auf Wangerooge, stieß sie 2019 zum Team der Schutzstation Wattenmeer und brachte dort alle ihre Fähigkeiten zusammen. 

Die Schutzstation Wattenmeer betreut die Odde in Hörnum, und sorgt mit ihrer „Arche Wattenmeer“ für Begeisterung für das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer. Außerdem betreibt die Schutzstation auf der ganzen Insel Einrichtungen für Forschung, Kartierung und Umweltbildung.

Die Stationen auf Sylt:

Der Job

Angela Schmidt ist die hauptamtliche Stationsleitung für Rantum und Puan Klent, hat diverse Kartierungsrojekte und kümmert sich zudem mit allem, was dazu gehört, um die zehn jungen Umweltaktiven, die ihre Freiwilligenzeit bei der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt verbringen. „Das ist ein verantwortungsvoller Auftrag, den die Freiwilligen bei uns wahrnehmen. Oft sind die jungen Leute das erste Mal für länger weg von zuhause. Ich unterstütze sie auch in allen persönlichen und menschlichen Dingen“, berichtet Angela Schmidt, Forschungsarbeit und das Networking mit anderen Sylter Naturschutzorganisationen gehört ebenfalls zu ihrem Portfolio.

Das Biotop Salzwiese

© Imke Wein

Nie sind Salzwiesen schöner als im späten Sommer, wenn der Strandflieder und die Salzastern blühen. Ob Queller, Löffelkraut oder Strandvermut: Salzwiesen sind der einzigartige Lebensraum für Pflanzen, die sich an die salzige Umgebung in immer wieder vom Meerwasser überspülten Küstenbereich angepasst haben. Die Faszination eines Ökosystems, das dem salzigen Wasser trotzt und langsam aber sicher dem Meer Land abringt, erschließt sich auf Sylt nirgendwo besser als südlich des Rantumer Hafens mit einem herrlich weitläufigen Exemplar einer unbeweideten Salzwiese. 

Hier darf man den seltenen Lebensraum auch betreten und auf seinen schlickigen Pfaden riechen, schmecken und spüren - vorausgesetzt natürlich man bleibt auf den Wegen. Eine weitere „Superkraft“ der Salzwiese: Auch sie bindet Treibhausgase wie sonst nur Moore, Sümpfe oder eben feuchte Dünentäler und ist damit eine Klimaschützerin der natürlichen Art. Um die Faszination der Salzwiese zu durchdringen, empfiehlt sich eine Führung. 

Was man dabei bis in den Oktober hinein auf keinen Fall vergessen sollte: Mückenschutz. Denn wie auch viele andere Insekten lieben Mücken das feuchte Klima der Salzwiese.

Maike und der Lila Faden der 
Heidepflege

Die Frau

© Imke Wein

Vor fünf Jahren machte Maike Lappoehn das zum Beruf, was sie inhaltlich ohnehin schon lange vorher umtrieb: Die Kampenerin war 1,5 Jahrzehnte ehrenamtlich im Vorstand der Naturschutzgemeinschaft Sylt (NSG) aktiv, bevor sie die Geschäftsführung der 99 Jahre alten Naturschutzorganisation übernahm, um sie mit frischem Wind in die Zukunft zu führen. Ganzheitliches Handeln im Sinne der Natur bekam sie als Waldorfschülerin in Frankfurt und Hamburg sozusagen schon mit in die Schultüte gelegt. Nach dem Abi entschied sie sich aber zunächst für das Hotelfach, lernte später in Hamburg ihren Mann, den Sylter Sven Lappoehn, kennen. Die beiden zogen 1997 auf die Insel und bekamen zwei Kinder - Sohn Sören ist heute Sommelier in der „Sturmhaube“, Tochter Rieke Meeresbiologin in England.

Die Eltern Lappoehn leben in Kampen und haben den Naturschutz als Schnittmenge ihrer beiden Jobs: Sven Lappoehn ist der Geschäftsführer der Sölring Foriining, dem Sylter Heimatverein - mit seinen Museen, den Sylter Kultur- und Kunst-Initiativen und seinen großen Naturschutzprojekten. „Natürlich diskutieren wir oft. Ich glaube, ich bin manchmal etwas weniger kompromissbereit als Sven“, meinte Maike Lappoehn im Kräutergarten des Braderuper Zentrums mit einem Augenzwinkern.  

Sie erlebt es auf Sylt so, dass Naturschutz mit großen Konsens zwar als auch touristisch attraktive Qualität geschätzt wird. Wenn eine Neuerung aber Verzicht bedeutet, seien die Entscheidungen oft zögerlich: „Ein Beispiel ist das Fahrradkonzept.  Wir könnten damit ein Leuchtturmprojekt werden. Sylt könnte die Fahrradwege auf Kosten des Autoverkehrs erweitern statt die Inselbahntrasse auf Kosten des Naturschutzes“, meint die engagierte Fürsprecherin der Pflanzen- und Tierwelt auf der Insel.

Der Job

Die Naturschutzgemeinschaft Sylt bietet eine Vielzahl naturkundlicher Wanderungen und Radtouren am Morsum Kliff, durch Watt und Heide, bietet für kleine und große Locals regelmäßige Naturerlebnisgruppen, sorgt für einen exzellenten Zustand in seinen Schutzgebieten Braderuper Heide und Morsum Kliff, ist Arbeitgeber für sechs Freiwilligendienstler*innen und Wirkungskreis eines kleinen Profi- und großen ehrenamtlichen Teams. Der dazugehörige Verein hat 400 Mitglieder. Den Vorsitz des Vereins hat sein über 30 Jahren Dr. Roland Klockenhoff. Zusammen mit Maike Lappoehn sind die beiden verantwortlich für das gesamte Tun, kooperieren mit den Gemeinden, den Kreis- und Landesbehörden, der Politik und vertreten die Belange des Naturschutzes regional und überregional.

Die Heide

Gut zu wissen: Heidepflege ist sowas wie der Lila Faden der fast 100-jährigen Arbeit der NSG. Besenheide gedeiht ausschließlich auf sehr mageren, sandigen Böden. Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung und den Eintrag von Nährstoffen durch die Luft wurden Heideflächen im Norden schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Schutz gestellt. Heideflächen bieten einer Vielzahl bedrohter Tier- und Pflanzenarten einen einzigartigen Lebensraum. Auf Sylt befinden sich 358 Hektar Heideflächen, das ist ein Drittel der gesamten Heide Schleswig-Holsteins. Durch Pflegemaßnahmen wie das regelmäßige Beweiden, das Placken und das Entfernen fremder Arten gelingt es, die Heide zu verjüngen und die Kulturlandschaft zu erhalten.

Erfahre im Video, welche Rolle die Schafe dabei spielen:

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  • Rekordverdächtige 2.500 Tier- sowie 150 Pflanzenarten leben in der Heide. Darunter botanische Schätze wie die Arnika oder der Lungenenzian. Neben den ausgewiesenen Schutzgebieten wie die 137 Hektar große Braderuper Heide gibt es allein in Kampen 100.000 m² innerörtliche Heideflächen. Private Gartenbesitzer*innen zu ermuntern statt Rollrasen Heide zu pflanzen, ist eine der vielen Aufgaben der NSG. „Heide in die Gärten“ heißt das Projekt. 

  Rollrasen Heide
Tierarten 30-50 2.500
Pflanzenarten 5-10 150
davon Rote-Liste-Arten 0% 45%

Die Zukunft

Für das Jubiläumsjahr 2024 haben Maike Lappoehn, der Vereinsvorsitzende Dr. Roland Klockenhoff, die Freiwilligen und Ehrenämtler*innen viel vor mit der Naturschutzgemeinschaft Sylt: Das Zentrum in Braderup, untergebracht in einer ehemaligen militärischen Baracke, muss energie- und überhaupt saniert werden. Aber auch die Ausstellung soll nach museumspädagogischen Erkenntnissen eine umfassende Verjüngungskur erhalten, und „künftig noch mehr zeigen, als das, was man selbst in der Natur erleben kann“. Das Zentrum soll ein Info- und Erlebnisraum werden, der so ganz zu Braderup passt. In Kooperation mit Wenningstedt-Braderups neuem Bürgermeister Kai Müller plant die NSG einige Projekte, die die Qualitäten des Ortsteils stärker in den Fokus rücken.

© Imke Wein
  • Text: Imke Wein

© Holm Löffler

Mehr Arten in den Garten

Zu Besuch bei Edda Raspé in Morsum

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Größere Lebensmitteleinkäufe sind bei Familie Raspé nur in der Winterzeit nötig. „Bis weit in den Herbst hinein versorgt uns der Garten mit frischen Köstlichkeiten. Wir kochen und backen mit allem, was gerade reif ist“, erzählt Goldschmiedin Edda Raspé, die mit ihrem Sohn Jonas, Schwiegertochter Anna und den Enkeltöchtern Ella und Ida in und um das artgerecht renovierte Morsumer Friesenhaus in einer Idylle lebt, die ihresgleichen sucht. Hahn Sören schreitet durch die überbordend üppige Garten-Szenerie. Ihm folgt gackernd das Teenager-Federvieh-Quartett, das die Raspés aus dem Brutprojekt der Norddörfer Grundschule übernommen haben. Ein gerade aus dem Ofen gezogener Kuchen mit frischem Obst setzt einen duftenden Akzent inmitten von Blüten und Grün.

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„Meine Großeltern mütterlicherseits hatten in der Nähe von Stade einen Hof. Ich bin dort tief eingetaucht in den Kosmos - wie man das als Kind halt tut. Daher weiß ich um das richtige Timing fürs Pflanzen, Pflegen und Ernten. Ich habe gesehen und gelernt, wie man Obst und Gemüse zubereitet und bevorratet. Das war anscheinend prägend. Mein Sohn Jonas liebt das auch. Er verbringt fast täglich etliche Stunden mit Gartenarbeit. Auch meine Enkeltöchter werden im Rhythmus des Gartens groß, wissen sofort, wo sie hin müssen, wenn ich sie beispielsweise bitte, Salbei zu pflücken“, erzählt Edda Raspé und „zuppelt“ nebenbei welke Blüten von einem Busch. „Hier kann jetzt Neues sprießen. Ich sammle oft auch die Samen von Pflanzen und sähe sie später wieder aus“, erläutert die Meisterin der wilden Gartenkunst.

Das Zusammenspiel von uraltem und völlig neuem Wissen

Natürlich ist die Vielfalt an ursprünglichen Obst- und Gemüsesorten, an Kräutern und Gewürzen in diesem Morsumer Kleinod das Resultat von uraltem und völlig neuem Wissen um Fruchtfolgen, die Vernetzung allen Lebens im Garten, von Beobachtungsgabe und von der Lust, auszuprobieren, zu versuchen, Standorte, Pflanzenarten, Symbiosen zu testen. Über die Jahre hat sich dieser Garten mit den zwei Ebenen, dem Feuchtbiotop, der Spiel- und Blühwiese und dem zauberhaften Bauwagen eine schöne Humusschicht zugelegt, die den Anbauerfolg potenziert. Der natürliche Kreislauf wird hier seit Jahrzehnten von wissender Hand ermöglicht. 

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  • Für mehr Ursprünglichkeit und Artenvielfalt. Edda Raspé setzt auf die Kräfte der Natur - sowohl im eigenen Garten als auch auf gemeindlichen Grünflächen.

„Natürlich ist das bei uns wie im Bilderbuch. Aber im Garten wie im Mehr-Generationen-Wohnen steckt eine Menge Arbeit. Beides muss man wollen, sehr bewusst. Aber es erfüllt das Leben auch mit Freude und Sinn. Wir alle können es uns anders gar nicht vorstellen“, sinniert die Hausherrin und engagierte Sylter Bürgerin, die mit ihrem Leben eine Inspiration für Individualisten ist.

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Edda Raspé über Ringelblumen

Erfahre im Video, was man alles aus und mit den Blütenblättern machen kann

© Holm Löffler
Die Blütenblätter der Ringelblume sind heilsam. Ich habe sie schon den Kindern früher ins Badewasser gegeben.

Selbst vermeintliche Exoten wie Koriander, Ingwer oder Thai-Curry gedeihen unter der Fürsorge der Raspés auf dem von Bäumen umsäumten Grundstück. Die Familie ist im regelmäßigen Austausch mit anderen Inselmenschen, die ökologisch wertvollen Anbau und Permagärtnern praktizieren. So trifft sich Jonas zum Fachsimpeln manchmal mit Jens Volquardsen vom Braderuper „Erdbeerparadies“, dessen Gemüse man im Hofladen und auf dem Westerländer Wochenmarkt kaufen kann.

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„Klar, wenn ich auf Sylt ein Urlaubshaus besitze, sind die Bedürfnisse ganz anders als hier bei uns. Das Attribut ,pflegeleicht’ steht zumeist im Mittelpunkt. Aber die Artenvielfalt zu erhöhen, Grünflächen wieder attraktiv für Mensch und Insekt zu machen, sich mehr mit dem zu verbinden, was für uns und der Insel gut ist, dazu kann jeder auf seine Art beitragen“, versichert Edda Raspé.

Blumenwiesen statt Rasen

Denn naturnahe Zier- und Nutzgärten anzulegen, das funktioniert selbst im windumrauschten Hörnum - wie einige Parzellen des dortigen Kleingartens mitten in den Dünen beweisen. Man muss nur wollen und wissen, was, wie und wann gepflanzt wird. „Es ist schon beeindruckend, wenn man einfach mal ein Stück Wiese stehen lässt und schaut, was passiert.“ Private Gärten und gemeindliche Grünflächen stellen einen großen Schatz im Kampf gegen den Artenschwund dar. Blumenwiesen statt Rasen, Wildstauden statt Exoten mit gefüllten Blüten, einheimische Sträucher statt Forsythien und Thujen … es ist kein Hexenwerk, aus dem eigenen Garten ein Paradies für Mensch, Pflanze und Tier zu erschaffen.

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Auf fast jedem Sylter Grünstreifen, der darf, wie er will, gedeihen auf engstem Raum Heilkräuter, die völlig zu unrecht als „Unkraut“ verunglimpft werden: Spitzwegerich, Johanniskraut, Schafgarbe, Löwenzahn, Brennnesseln … Diese Pflanzen besitzen allesamt magische Nebenwirkungen: Allein die Samen der Brennnesseln sind ein Superfood. „Man muss darum nur wissen. Das verändert die Haltung“, versichert Edda Raspé. Sie wünscht sich für die Zukunft der Sylter Grünflächen, dass das Bewusstsein für die Zusammenhänge wächst und die Faszination für die Kräfte der Natur.

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Dazu trägt Edda Raspé mit diversen Projekten bei. Richtig zielführend auf dem Weg zu mehr Ursprünglichkeit und Diversität in Sylter Gärten wäre es, wenn auch die Hausmeister- und Gartenpflegebetriebe umdenken und ihren Kund*innen aktiv vorschlagen, heimische Gewächse, Blühwiesen und Obstbäume in die Gärten zu pflanzen, statt immer noch viel zu oft Rollrasen zu verlegen und die Kartoffelrose auf den Wall zu setzen. Wenn immer mehr Menschen selbst erfahren, wie gut es tut, wenn man zum Beispiel aus Johannisbeeren und Minze aus dem eigenen Garten einen köstlichen Brotaufstrich mischt, dann will man nicht zurück zum langweiligen Ziergarten.

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Die Braderuper Naturschutzgemeinschaft Sylt animiert Besitzer*innen von größeren Grundstücken schon seit Jahren und mit Erfolg, Heidebereiche in ihre Gärten anzulegen und der norddeutschen Kulturpflanze so mehr Raum zu geben. Wie man einen Natur- und Kräutergarten anlegt, lässt sich im Garten des Naturzentrums bei entsprechenden Führungen erfahren. Auch Edda Raspé steht mit ihrem prallen Wissen über das natürliche Gärtnern gerne beratend zur Seite.

  • Text: Imke Wein

  • Fotos & Videos: Holm Löffler

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Mehr Wissen

über Sylter Biotope

Angelika Warnken und Edda Raspé gehen mit interessierten Menschen seit 2018 etwa einmal im Monat auf Natur-Exkursion und erforschen die unterschiedlichsten Sylter Biotope. Ob das Wäldchen mit den Krüppelkiefern in den Klappholttaler Dünen oder die Süßwassersiele am Rantum Becken - der Fokus liegt darauf, den Horizont zu weiten und die Vielfalt der Natur-Lebensräume auf der Insel zu entdecken. Oft ist ein Experte für das Gebiet mit von der Partie - wie zum Beispiel bei der Kräuterwanderung mit Angela Neumann, die die Faszination für all die Pflanzen am Wegesrand weckt mitsamt ihren kulinarischen und medizinischen Wirkungen. Die Aktivgruppe verbindet die Wanderung oft auch mit kleinen „Missionen“: Vögel zählen, Müll sammeln oder das gefährliche Jakobskreuzkraut aus der Heide entfernen - all das geschieht nebenbei. Gehaltvolle Gespräche und Diskussionen sind ebenfalls inklusive. Nähere Infos und Termine über die Braderuper Naturschutzgemeinschaft Sylt (NSG) per Mail: info@naturschutz-gemeinschaft.de

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So geht's:

Blühwiesen anlegen

Eine Herzensangelegenheit von Edda Raspé ist die „Aktion Blühwiese“: An immer mehr Insel-Standorten, Lebensräume für Insekten aller Art zu schaffen, ist das Ziel. „Die richtige Saat und einige Jahre der Hege und Pflege sind für diese Flächen das A und O“, weiß Anwalt Andreas Wendt, der einen nicht unerheblichen Teil seines großen Gartens in eine Blühwiese verwandelt hat. „Richtig spannend: Jedes Jahr blüht es hier in anderen Farben. Eigentlich muss ich inzwischen nur noch einmal im Jahr zum richtigen Zeitpunkt mähen“, weiß der passionierte Hobbygärtner. Was es bei einer wilden Blühwiese in den ersten Jahren alles zu tun gibt, zeigt sich gerade deutlich im Morsumer Dorfpark hinterm Muasem Hüs: Damit der Rasen nicht länger dominiert, muss man sein Wachstum im Zaume halten und ihn entfernen. „Wäre super, wenn noch ein paar Morsumer immer mal ein paar Stunden mithelfen könnten, damit sich diese Blühwiese gut entwickeln kann“, bittet Edda Raspe um Mithilfe im Dorf. Ein weiteres Beispiel im Inselosten? Eine Hausbesitzerin bat um Rat bei der Verwandlung eines Teils ihres Grundstücks in ein artenreiches Blühparadies. Hobbylandwirt Jan Petersen half beim Umpflügen der Fläche, dann wurde ausgesäht - und jetzt wird’s spannend auf dem herrlichen Grundstück. Im Kampener Avenarius-Park hat das Grüne-Daumen-Team der Gemeinde mit einer riesigen Blühwiese schon vor Jahren ganze Arbeit geleistet. Langsam aber sicher setzt sich das Modell Blühwiese gegen Team Zierrasen durch ….

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