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Die Wollwerkstatt in Keitum

Tauche ein in das traditionelle Handwerk: Vom Weben bis zum Handspinnen
gibt Erika Jessen dir im Sylt Museum wertvolle Einblicke in diese besondere Kunst.

Weißes Garn an einem Webstuhl
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Text: Julia Petersen

Webtradition vor der Haustür

Es gibt durchaus Menschen, die reisen um die ganze Welt, von Sylt nach Peru oder Marokko, stets auf der Suche nach den schönsten Teppichen und Webereien. Dabei lohnt sich der Blick in unser Sylter Inselgeschehen und die Sylter Museen in Keitum, um einzutauchen in ein Handwerk, das die wenigsten noch kennen oder können.

Sylter Kultur und lebendige Geschichte

Die Sylter Kultur steckt voller Traditionen, Geschichte und wertvollem Kunsthandwerk. Das wird bei einem Besuch in den unmittelbar am Keitumer Wattenmeer gelegenen Museen mehr als deutlich. Hier hat es sich die Sölring Foriining zur Aufgabe gemacht, die insulare Kultur zu erhalten und erlebbar zu machen. Ein wichtiger Teil davon ist unter anderem Erika Jessen. Die Sylterin ist Profi im Kamm- und Brettchen-Weben und bietet hier jeden Donnerstag spannende Einblicke in diese eindrucksvolle Kunst. Besucher:innen können während ihres Museumsbesuches zuschauen, wie Erika Jessen an einem über 300 Jahre alten Webstuhl Handtücher traditionell webt.

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Erika Jessen

"Ich mache es einfach gern, man sieht, was man macht, und es kommt etwas Gescheites dabei rum."

Ein Handwerk zum Staunen

Ältere Frau richtet Fäden an einem großen Holzwebstuhl ein.
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Konzentriert sitzt sie dabei auf dem hölzernen Bänkchen in einer Nische des Museums. In diesem Teil dreht sich alles um das Weben und Spinnen auf Sylt. Dort hängen Sylter Trachten und Teppiche an den Wänden und in Vitrinen, und man kann einen wunderbaren Eindruck davon erhalten, was die Inselbewohner:innen einst trugen und wie sie ihre eigenen Kleidungsstücke anfertigten. Damals gab es weder Zara noch H&M, kein „Fast Fashion“, keine üppigen Kaufhäuser, sondern echte Handarbeit und Unikate aus natürlichen Fasern. Nachhaltig und authentisch.

Seit Jahrhunderten schon hat die Schafhaltung und Wollverarbeitung auf Sylt Tradition. Neben dem Fischfang und der Seefahrt war sie ursprünglich ein wichtiger Bestandteil des Lebensunterhaltes. Der Webstuhl war in den Sylter Häusern kein beliebiges Möbelstück, sondern ein für die Frauen bedeutsames Werkzeug, um die Familie zu versorgen oder eigenständig und autark einzukleiden. Die gesponnene Wolle wurde zu Pullovern, Strümpfen und Unterkleidung verarbeitet und weit über die Inseldeiche hinaus bis nach Altona verkauft.

Erika Jessen: Mit Leidenschaft am Webstuhl

Seit nunmehr 14 Jahren ist Erika Jessen ehrenamtlich im Sylt Museum tätig und eine der wenigen auf Sylt, die am Webstuhl weben kann. Im Alter von 63 hatte sie zuhause Platz für einen Webstuhl. „Schau mal zu, wie du damit klarkommst“, wurde ihr gesagt. Und so wurde sie mehr oder weniger ins kalte Wasser geworfen. Ob ihr das Weben in die Wiege gelegt wurde? Könnte man so sagen. Der Vater ihrer Mutter war Webermeister. Leider lernte sie ihn nie kennen, er verstarb, als ihre Mutter gerade einmal drei Jahre alt war.

Spinnen wie einst – gar nicht so einfach

Ältere Frau hält Wollfasern und spinnt sorgfältig.
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Die Kunst des Webens fordert ein gewisses Grundmaß an Geduld: Einen Vormittag allein benötigt Erika Jessen, um die 600 Längsfäden in die Ketten zu friemeln. Das Museumspublikum, das sich just um den antiken Eichen-Webstuhl versammelt, staunt bei dieser Info nicht schlecht. Ein kleiner Junge schaut angetan zu, wie Frau Jessen den Kamm durch die Fäden schlängelt. Für sie selbst ist diese Tätigkeit meditativ – und auch auf die Zuschauer:innen hat sie eine beruhigende Wirkung. „Ich mache es einfach gern, man sieht, was man macht, und es kommt etwas Gescheites dabei rum“, so Erika Jessen.

Ob jemand mal das Spinnrad testen möchte, fragt sie zwischendurch in die Runde. Eine Frau traut sich und macht sich an die Wolle – zwar sehr gefühlvoll, doch ungeübt und somit zum Scheitern verurteilt. „Das ist so einfach wie Schlittschuhlaufen, man muss es nur üben“, motiviert sie die Laien. Die dafür verwendete Wolle wird Erika Jessen einmal im Jahr in drei Säcken nach Hause gebracht. Echte Sylter Schafswolle, die dann erstmal in der Maschine gewaschen werden muss, bevor sie ans Spinnrad kommt.

Ein bedrohtes Handwerk & engagierte Bewahrer:innen

Leider ist die Zahl der aktiven Weber:innen in Schleswig-Holstein über die Zeit gesunken, und nur noch wenige beherrschen die historische Handarbeit. Die Sylter Museen möchten dieser Entwicklung liebevoll entgegenwirken. Auch der ehrenamtliche Verein „Morsumer Kulturfreunde“ ist sehr engagiert, die Kunst des Webens auf Sylt lebendig zu halten und bietet immer dienstags zwischen 15 und 17 Uhr einen Treff an.

Ein Besuch, der sich lohnt

Du möchtest tiefer in die Kunst des Webens eintauchen, noch mehr darüber und die Sylter Kultur lernen? Dann schau unbedingt in Keitum im Sylt Museum vorbei und teste und stöbere durch die verschiedenen Winkel der Insel-Geschichte – und natürlich durch den Shop. Dort findest du von Erika Jessen gewebte Handtücher aus Baumwolle und Leinen sowie Bänder in mehreren Farben und Längen.