© SMG/Michael Reidinger

Natürlich Sylt

In Bewegung

Was treibt uns an? Das ist nicht nur im übertragenen Sinn eine zentrale Frage für Sylt.
Und eine, die in Zukunft noch wichtiger wird. Wie kommen die Menschen von List nach Hörnum, wie von Westerland nach Keitum oder Morsum – bequem, staufrei und umweltschonend? Stephan Rammler ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. In seinen Büchern beschäftigt sich Rammler unter anderem damit, wie wir künftig reisen und warum Sylt ein besonderer Verkehrsraum ist. Im Doppelinterview spricht der Mobilitätsforscher mit SMG-Chef Moritz Luft darüber, wie Staus auf der Insel bald der Vergangenheit angehören könnten, über die Chancen vernetzter Leihsysteme für Autos und Fahrräder und über Sylt als Innovationstreiber für neue Technologien wie die Elektromobilität.

Herr Rammler, lassen Sie uns ein kleines Gedankenspiel versuchen: Sie wollen zehn Tage Urlaub auf Sylt machen. Wie reisen Sie an?
 
Stephan Rammler: Wenn ich von Berlin nach Sylt fahre, würde ich mit der Bahn anreisen. Das ist die angenehmste Variante.
Moritz Luft: Ob eine Variante als mehr oder weniger angenehm empfunden wird, hängt natürlich von den jeweiligen Bedürfnissen der Reisenden ab. Die einen wollen schnell ankommen und nehmen das Flugzeug, andere, wie Herr Rammler, wollen es vor allem entspannt und nehmen den IC und wieder andere haben Kinder und kommen deshalb am liebsten mit dem Auto. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Motive ist es für uns als Urlaubsdestination wichtig, den Reisenden weiterhin ein breites Angebot zur Verfügung zu stellen damit jeder genau die Anreise wählen kann, die am besten seinen Bedürfnissen passt.
 
Aber mit Blick auf die Straßen scheint es doch, dass ein Großteil der Sylt-Urlauber am liebsten mit dem eigenen Auto kommt – ob nun mit Kindern oder ohne...
 
Stephan Rammler: Das ist sicherlich richtig. Sehr viele Menschen treten ihre Urlaubsreise mit dem eigenen Auto an. Seit vielen Jahren versuchen wir Verkehrsforscher der Politik – speziell der Tourismuspolitik – klar zu machen: Fahrten in Tourismusregionen wie etwa Sylt sind mehr als andere dazu geeignet, intermodal stattzufinden. Das heißt, der Gast wechselt die Verkehrsträger während der Reise und vor Ort, nimmt also zum Beispiel für die Anreise die Bahn und auf der Insel mal den Bus, mal das Rad und mal ein Mietauto.
 
Moritz Luft: Sylt ist ein Individual- und kein Pauschalreiseziel. Und eine Individualreise geht oft mit dem Wunsch einher, Mobilität so individuell und frei wie möglich zu erfahren. Bei vielen steht das Auto für die Freiheit, immer und überall hinfahren zu können. Zwar ist eine Autofahrt oft auch anstrengend und man steht im Stau, aber diese Realität wird oft ausgeblendet. Die Aufgabe der Insel ist es, so gute Angebote zu schaffen, dass das Auto künftig zuhause gelassen wird, weil es bessere Alternativen gibt. Allerdings muss bei diesen Alternativen dem Gast immer die Sicherheit gegeben werden, dass er seine Flexibilität und seine Individualität behält.

Radfahren auf Sylt
© Lynn Scotti

Woher kommt die Liebe der Urlauber zum Auto?
 
Stephan Rammler: Zuerst einmal ist das Auto einfach wahnsinnig bequem, es ist flexibel, individuell nutzbar und in der Kleinfamilie perfekt. Außerdem ist der Anspruch der Urlauber an eine reibungslose Reise hoch. Und diese Bequemlichkeit ist bei den Alternativen zum Auto einfach noch nicht gegeben.
 Moritz Luft: Ich sehe da auch die „Macht der Gewohnheit“ als wichtigen Faktor, denn genau so, mit dem Auto, haben wir Reisen innerhalb Deutschlands und ins benachbarte Ausland gelernt. Hier muss sich die Gewohnheit ändern – aber das ist nur durch motivierende Alternativen zu erreichen.
   
Als Urlaubsinsel haben wir eine besondere Situation: Wenn hier in der Hauptsaison rund 150.000 Menschen unterwegs sind, reicht die Verkehrsinfrastruktur nicht aus. In der Wintersaison wird sie hingegen kaum genutzt.

Stephan Rammler: Das ist eine Frage des Managements. Sylt hat eine sehr hohe Saisonalität. Es ist wichtig, das Angebot der Nachfrage bestmöglich anzupassen – auch, wenn die Nachfrage nur vorübergehend ist. Warum sollte es im Sommer nicht zum Beispiel flexible, zeitlich begrenzte Formen des Autoverleihs geben?
Moritz Luft: Zudem braucht es eine absolute Transparenz. Wer online schnell und einfach kontrollieren kann, ob es ein hohes Verkehrsaufkommen gibt, lässt sein Auto bei einem angezeigten Stau eher stehen und steigt aufs Rad oder nimmt den Bus. Die technischen Möglichkeiten sind heute so weit fortgeschritten, dass so ein Onlineangebot für die Insel absolut denkbar wäre.

In großen Städten nimmt Carsharing zu. Sind Leihsysteme ein Weg für Sylt, damit weniger Urlauber mit dem eigenen Auto kommen?

Moritz Luft: Wir haben auf Sylt eine andere Situation als in Hamburg, Berlin oder München, wo Carsharing-Systeme gut funktionieren und sowohl von Einwohnern als auch von Reisenden genutzt werden. Das ist auf die Insel so nicht übertragbar. Dennoch kann auf Sylt Carsharing durchaus Sinn machen, wenn es zum Beispiel an ein Wohngebiet angegliedert wird und den Einwohnern dort zur Verfügung steht, wie es beim Dünenpark in List angedacht ist. Oder Sylter Unternehmen könnten gemeinsame Autos für ihre Auszubildenden und Mitarbeiter anbieten.

Stephan Rammler: Wenn ich will, dass die Menschen ohne eigenes Auto auf die Insel kommen, brauche ich andere funktionale Angebote: zum Beispiel eine Flotte von Elektroautos, die einfach und für nicht allzu viel Geld ausgeliehen werden können. Es gibt auch noch die Möglichkeit, die einzelne Fahrt zu teilen – Ridesharing genannt, beispielsweise auf Grundlage bestehender Großraumtaxen. Oder permanent kreisende Elektrokleinbusse, die durch die Ortszentren fahren und sie bequem erschließen. Wenn Sie so ein Netz zumindest über die Sommerzeit etablieren, kann das wunderbar funktionieren. Außerdem müssen Preissignale gesendet werden, die es unattraktiv machen, auf der Insel mit dem eigenen Auto zu fahren – zum Beispiel ein Maut-System: Damit spreche ich kein Verbot aus und ich generiere damit Einnahmen, um die Alternativen sachgerecht und großzügig auszubauen.
 
Diese Angebote gibt es bisher nur in Ansätzen. Heißt das, es bleibt voll auf den Straßen?

Moritz Luft: Bis es kein sinnvolles inselweites Mobilitätskonzept gibt, wird es wohl so bleiben. Allerdings wird sich die Zahl der Fahrzeuge über lange Sicht etwas nach unten regulieren. Denn bekannt ist, dass die Neuzulassungen in vielen unserer Quellgebiete, insbesondere der Städte, immer weiter sinkt. Die kommende Generation verzichtet vermehrt auf ein eigenes Auto, sondern nutzt es bedarfsorientiert über ein Carsharing-System. Über diesen Konsumwandel wird sich auch der Nachfragedruck von PKW-Anreisen auf die Insel etwas abschwächen. Da diese Generation aber auch eine hohe Erwartungshaltung an Mobilität hat, ist es für die Insel jetzt umso wichtiger, die Mobilitätsvernetzung als dringliche Aufgabe anzuerkennen.

E-Auto Mercedes Benz EQC auf Sylt
© Daimler AG

Kommen wir noch einmal zurück zu dem Gedankenspiel. Wenn Sie, Herr Rammler, nun mit der Bahn angereist sind, mieten Sie sich dann auf Sylt ein Auto?
 
Stephan Rammler: Das hängt davon ab. Meine drei Kinder sind nicht mehr so klein – wenn sie es aber wären, würde ich mir tatsächlich ein Auto mieten. Und ich würde schauen, ob ich ein Null-Emissionsfahrzeug bekomme. Feriengebiete und gerade Destinationen wie die Nordseeinseln haben ja gerade den Charme, dass ich dort keine Verbrenner mit 1000 Kilometern Reichweite brauche.
 
Herr Luft, würde Herr Rammler ein solches Auto auf der Insel bekommen?
 
Moritz Luft: Ja, zum Beispiel im E-Mobility-Center in Westerland. Allerdings ist die Auswahl an Elektrofahrzeugen verteilt auf die gesamte Insel nicht besonders groß und Herr Rammler mit seinem Wunsch nach einem Null-Emissionsfahrzeug eher die Ausnahme als die Regel. Ein Beispiel: 2019 hat ein großer Autovermieter 40 Elektroautos auf der Insel angeboten. Das war nur mit hohem Personaleinsatz möglich, denn der Erklärungsbedarf für die Autos ist noch sehr groß – im Gegensatz zur Nachfrage, die für diesen Aufwand zu gering war. Wir wünschen uns aber natürlich, dass sich das in den kommenden Jahren ändert, denn Sylt ist aufgrund seiner Entfernungen für E-Autos einfach ideal.
 
Egal ob geliehen oder mitgebracht: Ist das Auto einmal auf der Insel, braucht es einen Parkplatz – vor der Unterkunft, vor dem Supermarkt, vor der Promenade. Wie bekommen wir den ruhenden Verkehr in den Griff?
 
Moritz Luft: Auch hier bedarf es einer bisher nicht vorhandenen Transparenz. Parkleitsysteme, die Autofahrer mithilfe von dynamischen Anzeigetafeln und Informationshinweisen zu einem freien Parkplatz leiten sollen, sind aus Städten und anderen Urlaubsdestinationen nicht mehr wegzudenken. Auf Sylt ist das bisher viel zu wenig ein Thema, dabei haben wir hier im Sommer Großstadt-Verhältnisse. Außerdem sollten Autofahrer in Echtzeit online sehen können, wo freie Parkplätze verfügbar sind – und welche Orte sie besser nicht anfahren. Wenn es keine Kapazitäten mehr gibt, muss auf andere Verkehrswege umgeschwenkt werden. Damit schaffe ich eine Reduzierung des Suchverkehrs und habe die Infrastruktur bestmöglich ausgelastet.

E-Bike Tour mit dem ISTS
© ISTS

Und dann sind da ja noch die E-Bikes.
 
Stephan Rammler: Das Elektrofahrrad ist genau das Verkehrsmittel, was auf den Inseln noch gefehlt hat. Das Wetter, der Gegenwind – da fällt es Touristen schon leichter aufs Auto zu verzichten, wenn sie ein elektrisch unterstütztes Fahrrad nutzen können. Allerdings nimmt die Belastung auf den Radwegen stetig zu und es muss gewährleistet sein, dass die Gäste sicher und gut geleitet über die Insel fahren können.
 
Moritz Luft: Damit hat Sylt die gleiche Herausforderung wie auch große Städte – zumindest temporär im Sommer: Es gibt eine fest versiegelte Fläche, die Ausweichmöglichkeiten sind limitiert und das, was da ist, muss optimiert werden. Für die nötige Sicherheit von Radlern und Wanderern ist jetzt insbesondere der Ausbau des breiten Westküstenradwegs wichtig, der 2021 zumindest für das Teilstück Westerland realisiert werden soll und auf dem der Radverkehr dem Autoverkehr übergeordnet ist.
 
Wenn man nach den Schlangen vor den Radverleihstationen geht, ist die E-Bike-Nachfrage oft größer als das Angebot.
 
Stephan Rammler: Die Lösung liegt meines Erachtens darin, die Betriebsabläufe der unterschiedlichen Verleiher besser zu verzahnen. Was bei konkurrierenden Unternehmen nicht so leicht ist: Die haben in der Regel keine große Neigung ihre Daten mit den Wettbewerbern zu tauschen. Über eine kommunale Dachmarke hingegen ließe sich ein Miteinander so organisieren, dass die bestehenden Fahrradverleiher integriert sind. So könnte ein flächendeckendes Insel-Leihradsystem entstehen. Das wäre eine neue Philosophie, aber eine machbare.
 
Moritz Luft: Herr Rammler hat recht. Wenn es gelingt, dass die Anbieter gemeinschaftlich dem Gast ein entsprechendes Angebot bereitstellen, bin ich überzeugt, dass am Ende alle profitieren. Wie toll wäre es, wenn dem Gast, der ein E-Bike sucht, einfach online das nächste freie Angebot angezeigt wird – ohne, dass er verschiedene Anbieter abklappern muss und Wartezeiten hat? Die Initiative für die Umsetzung einer solchen Vernetzung müsste aber von den Kommunen unterstützt werden, in deren Interesse es liegen sollte, den Service für den Gast stetig zu verbessern.
 
Sylt bis 2030 frei von Verbrennern – wie klingt das für Sie?
 
Stephan Rammler: In touristischen Regionen ist Elektromobilität schon heute die beste Variante. Bei Entfernungen um 50 Kilometer kann man wunderbar mit einem Elektroauto fahren, egal ob es La Palma, Ibiza oder eben Sylt ist. In einer Urlaubssituation sind die Menschen entspannt und neugierig. Das ist das richtige Möglichkeitsfenster. So können Tourismusregionen wie Sylt sogar Innovationstreiber für neue Technologien sein. Zudem werden nicht zuletzt durch den Klimawandel die deutschen Küstenregionen eine größere Nachfrage, einen Boom, erfahren. Und gerade deshalb ist es wichtig, den Verkehr auf Inseln wie Sylt nachhaltig umzugestalten.  
 
Moritz Luft: Wie wäre es irgendwann sogar mit der Neuauflage der Inselbahn, aber als leise Autonom-Elektro-Version? Es gibt bereits Hybridangebote, Elektro-Bahnen auf Schienen, die sowohl im Stadtbereich als auch als Überlandbahn unterwegs sind. Es müssten dafür keine extra Trassen und keine Oberleitungen gebaut werden, sondern die Bahnen sind auf den bestehenden Straßen unterwegs. Für mich wäre das ein wünschenswertes Mobilitätskonzept der Zukunft.

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